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70 Jahre Genfer Konventionen

Die Genfer Konventionen von 1949 sollen Menschen auch im Krieg vor Grausamkeit und Unmenschlichkeit schützen. Doch rund um die Welt treten Soldaten, Rebellen und Terroristen die Vorschriften mit Füssen.

Ein Bus mit Schulkindern fährt über einen geschäftigen Markt in der nordwestlichen Provinz Saada des Bürgerkriegslandes Jemen. Plötzlich gerät er unter Beschuss von Militärjets. Dutzende der jungen Insassen werden getötet, viele weitere schwer verletzt. Der grausame Angriff auf unschuldige Kinder, der den Streitkräften der von Saudi-Arabien geführten Koalition angelastet wurde, löste im August 2018 weltweit Entsetzen aus. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, verurteilte das Massaker. Er verlangte von allen Konfliktparteien, sie sollten «ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht ernst zu nehmen».
Das Herzstück dieses humanitären Völkerrechtes bilden die Genfer Konventionen. In ihrer heute gültigen Form werden die Abkommen jetzt 70 Jahre alt, sie wurden am 12. August 1949 unterzeichnet und traten im Oktober 1950 in Kraft. Die Konventionen und ihre Zusatzprotokolle sollen die Konfliktparteien zügeln, sie sollen das Abrutschen von Waffengängen in die Barbarei verhindern.

Schutz vor Folter und Gewalt


«Ihr Sinn ist, der Menschlichkeit unter allen Umständen, auch in Kriegszeiten, Raum und Geltung zu verschaffen», heisst es in einer Schrift des Deutschen Roten Kreuzes über die Konventionen. «Der Schutz des Menschen als solchen, mag er als Verwundeter oder Kranker, als Schiffbrüchiger, Gefangener oder als hilfsbedürftige Zivilperson Opfer des Krieges geworden sein, ist die alleinige und ausschliessliche Aufgabe dieser Abkommen.» Konkret verbieten die Konventionen unter anderem Folter und sexuelle Gewalt in Konflikten. Krankenhäuser und medizinisches Personal dürfen nicht attackiert werden. Verletzte müssen medizinische Hilfe erhalten, Gefangene menschlich behandelt werden. Familien müssen über das Schicksal ihrer Angehörigen informiert werden. Ebenso sollen die Kriegsgegner die Toten mit Würde behandeln.

Schüsse auf Flüchtlingslager

Doch der runde Geburtstag der Genfer Konventionen bietet keinen Anlass zum Feiern. Zu offensichtlich treten Regierungen, Warlords, Soldaten, Milizionäre, Rebellen und Terroristen die Vorschriften mit Füssen: In Afghanistan, im Irak, im Jemen, in Libyen, in der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan, in Syrien oder in der Ukraine, um nur die bekanntesten Brennpunkte aufzulisten. Einige Beispiele aus jüngster Zeit: Anfang Juli schlugen Geschosse in einem Flüchtlingslager nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis ein, Dutzende Menschen starben und erlitten Verletzungen. In Syrien attackieren Militärjets des Assad-Regimes und seiner Verbündeten seit Monaten wieder verstärkt Krankenhäuser. Etliche Mediziner und Patienten fielen der perfiden Taktik bereits zum Opfer. Im Jemen sind seit dem Angriff auf den Bus vor einem Jahr fast 1000 weitere Kinder getötet oder verletzt worden. Und in Afghanistan erlebten die Menschen den schlimmsten Monat seit mehr als zwei Jahren. Im Juli starben mehr als 1’500 Zivilisten durch Gewalt oder wurden verwundet – laut den UN war es die höchste Opferzahl in dem Bürgerkriegsland seit Mai 2017.

Erste Konvention in Genf

«Rund um die Welt sehen wir enorme Verletzungen des humanitären Völkerrechts», klagt der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer. Und er warnt: «Diese Verletzungen können zu der Wahrnehmung führen, dass die Prinzipien niemals respektiert werden und dass sie nicht relevant sind.» Die eigentliche Geburtsstunde der Genfer Konventionen schlug schon vor 155 Jahren. Der Gründer des Roten Kreuzes, Henri Dunant, gab den Anstoss dazu. Am 22. August 1864 unterzeichneten Vertreter von zwölf Staaten im Genfer Rathaus die erste Konvention zur Linderung der Lage verwundeter Soldaten im Feld. Allein vier Emissäre aus deutschen Staaten waren dabei: aus Baden, Hessen, Preussen und Württemberg. Laut Artikel 7 sollen eine Fahne und eine Armbinde, die ein «rotes Kreuz auf weissem Grund tragen», die neutralen Lazarette und das neutrale Hilfspersonal kenntlich machen. Damit erlangte das Rote Kreuz einen eigenen internationalen Status. Seine Arbeit in bewaffneten Konflikten beruht bis heute auf den Genfer Konventionen.

Universal ratifizierte Verträge


1929 gab eine Genfer Staatenkonferenz den Abkommen ein modernes Gewand. Die Gemetzel des Ersten Weltkrieges hatten schmerzlich klar gemacht: Die alten Abkommen zur Pflege der Verwundeten und zum Schutz von Gefangenen mussten dringend erneuert werden. Sie sollten dem modernen Krieg der Maschinengewehre, der Panzer und Materialschlachten angepasst werden. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges dann wurden die Abkommen noch einmal überholt. Der Schutz von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt wurde in einem vierten Abkommen neu verankert. Wiederum in Genf unterzeichneten Staatengesandte am 12. August 1949 die heute gültigen vier Konventionen. Auch wenn die Abkommen fast täglich verletzt werden – sie gehören zu den wenigen universal ratifizierten Verträgen. «Doch bedeutet die Verletzungen der Abkommen nicht, dass sie ungenügend sind», bilanziert Rot-Kreuz Präsident Maurer. «Vielmehr sind die Anstrengungen, die Abkommen zu respektieren, ungenügend.»

Quelle: www.ref.ch, 8. August 2019