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Der Fall Locher kostet die Kirche schon 750'000 Franken

Die Affäre um ihren ehemaligen Präsidenten Gottfried Locher kommt die reformierte Kirche teurer zu stehen als gedacht. Lochers Ehefrau kämpft derweil um die Ehre ihres Mannes – und wird von der Synode demonstrativ ignoriert.

Es ist ein seltener Vorgang, dass eine Ehefrau ihren wegen sexueller Verfehlungen angeprangerten Gatten öffentlich verteidigt. «Sie haben einen kirchlichen Schauprozess gegen meinen Mann aufgeführt», schrieb Barbara Locher in einem Brief an die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche (EKS). «Am Rechtsstaat vorbei haben Sie Ihre eigene Scheinjustiz installiert – ohne Strafanzeige, ohne Strafverfahren, ohne Rechtsmittel.» Gottfried Locher musste letztes Jahr als EKS-Präsident zurücktreten, nachdem eine ehemalige Untergebene eine Beschwerde gegen ihn eingereicht hatte. In der Folge beauftragte die Kirche eine Anwaltskanzlei, den Vorwurf zu untersuchen. In ihrem auszugsweise publizierten Gutachten kam die Kanzlei zum Schluss, Locher habe die «sexuelle, psychische und spirituelle Integrität» der Frau verletzt, die Vorwürfe der Beschwerdeführerin seien «glaubwürdig».

Für die Ehefrau hat er sich «nichts zuschulden kommen lassen»

Die EKS glaubte, den Fall bei einer ausserordentlichen Synode am letzten Sonntag und Montag abschliessen zu können. Doch Barbara Locher machte den Verantwortlichen einen Strich durch die Rechnung. In ihrem Brief, der ausgerechnet auf kath.ch, also dem katholischen – und nicht dem reformierten – Onlineportal veröffentlicht worden war, heisst es: «Das Kirchengericht, das Sie hier simulieren, ist Ihre Erfindung. Wir leben in einem Rechtsstaat. (...) Niemand hat Klage eingereicht. Kein Gericht hat getagt. Mein Mann ist so unbescholten wie Sie hoffentlich auch. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen.» Die beauftragte Anwaltskanzlei habe ein gekauftes «Parteigutachten» erstellt, die EKS sei sowohl als Kläger wie auch als auch Richter aufgetreten. Viel Zündstoff für die Synode – würde man meinen. Doch weit gefehlt. Synodepräsidentin Evelyn Borer erwähnte die Existenz des Schreibens nur kurz in ihrer Eröffnungsrede – ohne den Namen der Urheberin zu nennen –, ansonsten gab es keine einzige Wortmeldung dazu. «Frau Lochers Brief war kein Thema», bestätigt Dominic Wägli, der als Kommunikationschef der Kirche vor Ort war. Noch liegt das Protokoll der Synode nicht vor, gemäss einem Beobachter sei der ganze Fall aber im Eiltempo durchgezogen worden. Es habe nur eine kritische Wortmeldung gegeben von einem Pfarrer aus dem Wallis, der auf die fehlende Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens hingewiesen habe. Wägli erklärt, dass die Kirche eine interne Beschwerde zu untersuchen hatte. Das sei sehr seriös durch eine spezialisierte Kanzlei gemacht worden. «Eine Anklage liegt keine vor, es gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.»

Locher ist aus dem öffentlichen Leben abgetaucht

Dafür, dass weiterhin die Unschuldsvermutung gelten soll, mussten Gottfried Locher, seine Frau und deren drei Kinder einiges durchmachen. Nicht nur verlor Locher seine Stelle, seit der Affäre ist er aus dem öffentlichen Leben abgetaucht, seine Handynummer hat er gewechselt, die Festnetznummer ist nicht mehr in Betrieb. Barbara Locher schreibt in ihrem Brief: «Nur wer selbst an der Seite eines solchen Mannes steht, weiss, was eine solche Diffamierung bedeutet, beruflich, sozial, persönlich. Für ihn als Mann. Für uns als Familie. Und für mich als Frau. Scheinheilig sprechen Sie vom Schutz vor Grenzverletzungen. Aber die Grenzverletzungen an meiner Familie kümmern Sie nicht.» Die aktuelle Präsidentin der EKS, Rita Famos, nahm nur schriftlich Stellung. «Ich selber werde den persönlichen Brief von Frau Locher nicht kommentieren», schreibt sie in einer E-Mail. «Ich bedaure die Vorkommnisse äusserst. Sie sind für alle sehr belastend.»

Ob eine Entschädigung fliesst, ist noch offen

Mittlerweile wurde auch bekannt, dass die Causa Locher die Kirche viel teurer zu stehen kommt als die bisher kommunizierten knapp 400'000 Franken. Die Geschäftsprüfungskommission rechnet mit rund 750'000 Franken für Anwälte, PR-Berater, Sitzungsgelder, Auslagen für die Sondersynode und so weiter, die aus den Kirchensteuern bezahlt werden müssen. Ein Punkt bleibt noch offen: Ob die Kirche der Beschwerdeführerin die von ihr geforderte Entschädigung von 144'000 Franken bezahlt. Eine externe Kanzlei klärt zurzeit juristisch ab, ob der Betrag gerechtfertigt ist. Die Rückstellungen dafür wurden aber bereits getätigt.

Quelle: Thuner Tagblatt, Rico Bandle (Sonntagszeitung), 12.09.2021