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Die letzte Ruhestätte: In Thun werden 90 Prozent der sterblichen Überreste kremiert

Urnengrab, Gemeinschaftsgrab, im Wald verstreut oder vom Wasser ins Meer getragen: Individuelle Beisetzungen sind im Trend, alte Traditionen verschwinden.

Immer öfter kommt es vor, dass Menschen vom Hinschied eines Bekannten oder einer Nachbarin erst längere Zeit nach deren Tod erfahren. Der Umgang mit Verstorbenen hat sich in den letzten Jahren stetig verändert, wie viele Pfarrpersonen aus der Region bestätigen. Aufbahrung des Leichnams und Abschiedsbesuche zu Hause finden kaum noch statt. Lange Trauerzüge sind royalen oder berühmten Persönlichkeiten vorbehalten. Die Beisetzung der sterblichen Überreste wird zunehmend zu einem Anlass für nahe Angehörige. Der letzte Abschied wird mehr und mehr individuell gestaltet. Zu öffentlichen Trauergottesdiensten wird auch in ländlichen Gegenden immer seltener geladen. Dazu sagt Barbara Klopfenstein, Pfarrerin in der Kirchgemeinde Thierachern: «Die Tendenz zu kleineren Trauerfeiern mit Angehörigen und wenigen Personen aus dem engsten Freundeskreis unter Ausschluss der Öffentlichkeit nimmt laufend zu.» Sie und weitere Pfarrpersonen aus dem Einzugsgebiet dieser Zeitung stellen zudem fest, dass sich dieser Trend zur individuellen und diskreten Beisetzung nach Corona noch verstärkt hat. «Der Tod wird an den Rand gedrängt und zur Privatsache gemacht», so Klopfenstein weiter.

Urne statt Erdbestattung

Die Veränderungen bei der Form der Beisetzungen zeigen sich sowohl im städtischen als auch im ländlichen Gebiet. Begräbnisse der sterblichen Überreste mit Sarg im Einzelgrab sind immer seltener. Beisetzungen der Asche im Urnengrab haben sich in den letzten Jahren in der Gesellschaft etabliert. Die Gestaltung dieser Urnengräber ist auf jedem Friedhof anders. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Neben diesen oft idyllisch gestalteten Ruhestätten wird jedoch mehr und mehr eine weitere Möglichkeit der Bestattung gewählt. Der Trend hin zur Bestattung im Gemeinschaftsgrab hat im vergangenen Jahr in den Reformierten Kirchgemeinden Thun Stadt, Schwarzenegg, Reichenbach und Thierachern zugenommen. Auf dem Friedhof von Reichenbach zum Beispiel wurde die Asche von 15 der insgesamt 29 Verstorbenen im 2020 neu gestalteten Wiesengrab ohne Urne beigesetzt. Der Trend zum Gemeinschaftsgrab zeigt sich auch in der Katholischen Kirchgemeinde Thun, wie Priester Ozioma Nwachukwu berichtet. Individuelle Bestattungen durch Privatpersonen ohne Priester, wie zum Beispiel das Verstreuen der Asche an selbstbestimmten Plätzen, liegen in der katholischen Kirche bereits bei 60 Prozent.


In Thun werden heute 90 Prozent der sterblichen Überreste kremiert. Nur noch 10 Prozent werden einer traditionellen Erdbestattung zugeführt. In Frutigen dagegen liegen die Erdbestattungen bei 40 und die Kremationen bei 60 Prozent. In der Region Adelboden bevorzugen die Hinterbliebenen nach wie vor Erdbestattungen. Trotzdem sei auch dort ein Trend zur Urnenbestattung festzustellen, so Bestatter Beat Schranz aus Achseten: «Nach Kremationen wird auch bei uns immer öfter gewünscht, die Asche zu einem späteren Zeitpunkt im privaten Rahmen verstreuen zu können», so Schranz.

Abschied ist einmalig

Thomas Rubin, Inhaber des gleichnamigen Bestattungsunternehmens mit vier Standorten in der Region, ist seit seinem achtzehnten Lebensjahr mit den Ritualen nach dem Ableben von Menschen vertraut. Bereits 1984, mit 21 Jahren, hat er – nach dem Unfalltod seines Vaters – dessen Bestattungsinstitut übernommen: «Es ist wichtig, dass wir uns unserer Trauer stellen. Unterdrückte und nicht angenommene Trauer kann die Menschen krank machen», so Rubin. Dies zu erkennen, sei bei einem endgültigen Abschied eines Angehörigen elementar wichtig. Ein Urnengrab, die Asche verstreuen oder dem idyllischen Bächlein übergeben. Das Verstreuen der Asche von Verstorbenen in Seen oder Flüssen ist im Kanton Bern gesetzlich verboten. Dazu Bestatter Thomas Rubin: «Diese Art des Abschiednehmens von Angehörigen wird nach wie vor oft praktiziert, aber nicht kontrolliert. Das Gesetz jedoch besteht nach wie vor.

Die Wahl der letzten Ruhestätte ist mannigfaltig. Das Verarbeiten der Trauer auch: «Was Trauer für uns bedeuten kann, fühlen wir oft erst später», so Thomas Rubin weiter. Markus Lemp, Pfarrer in der Kirchgemeinde Reichenbach, stellt immer häufiger fest, dass die Beerdigungsrituale individueller werden und dass die verstorbene Person mehr im Zentrum steht als der Trost für die Angehörigen: «Viele Abschiede finden nur noch im Familienkreis statt und immer häufiger ohne Pfarrerin oder Pfarrer», so Lemp. Diese Tendenz bestätigte auch Margrit Schwander, seit 1999 Pfarrerin in der Kirchgemeinde Thun Stadt: «Seit meinem Amtsantritt in Thun hat sich die Anzahl der Abdankungen stark reduziert.»

Kein Besuch möglich

Doris Reber ist traurig über den unerwartet frühen Tod ihres Bruders und vor allem darüber, dass sie nie wissen wird, wo seine sterblichen Überreste sind. Die Asche ihres Bruders wurde einem Flüsschen übergeben. Dies wurde entgegen ihres persönlichen Wunsches von anderen bestimmt. Sie ist davon überzeugt, dass es für die Hinterbliebenen wichtig ist, dass die sterblichen Überreste an einem Ort sein sollten, der jederzeit und so lange besucht werden kann, wie das Bedürfnis dafür besteht. Derselben Meinung ist auch Pfarrerin Margrit Schwander. Sie ist eine Verfechterin von Friedhöfen: «Der Friedhof als Ruhestätte für die Verstorbenen hat eine heilsame Funktion für die Angehörigen.» Annerös Durtschi-Müller ist froh darüber, dass die Asche ihres Vaters Emil Müller auf seiner geliebten Alp Vogelsang Ruhren im Simmental verstreut wurde: «Das war sein Wunsch, und wir alle haben ihm diesen gerne erfüllt.» Erika Werthmüller und ihre Familie haben für ihre vor drei Jahren verstorbene Mutter ein Urnengrab gewählt: «Das Grab wird dereinst auch das Grab unseres Vaters, damit die beiden dort wieder vereint sind», so Werthmüller. Denselben Wunsch hat auch Christine Eymann bereits mit ihren Kindern besprochen: «Ich möchte nach meinem Tod im Urnengrab meines geliebten Mannes begraben werden.»

Quelle: Thuner Tagblatt, Debora Stulz, 10.03.2023