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Generationenvertrag bei der AHV: Brüchiger Deal zwischen Jung und Alt

Klimakrise, Pandemie, AHV: Junge wollen den «Generationenvertrag» neu verhandeln. Doch was ist das überhaupt und wer hat diese fiktive Vereinbarung geprägt? Die Spur führt auch in kirchliche Kreise.

2019 hielt die 25-Jährige neuseeländische Abgeordnete Chlöe Swarbrick eine Rede im Parlament. Sie sprach über die Folgen der Klimaerwärmung für ihre eigene Zukunft und die ihrer Altersgenossinnen. Da wurde sie von älteren Parlamentariern unterbrochen. Swarbrick machte eine ablehnende Handbewegung in deren Richtung und sagte: «OK Boomer». Dann fuhr sie mit ihrer Rede unbeirrt fort. Der Spruch ging viral. Wie kein zweiter zeigt er den Graben, der heute zwischen den Generationen liegt. Junge wollen sich nicht mehr von der Babyboomer-Generation belehren lassen, die ihrer Meinung nach für gewaltige Probleme auf der Welt verantwortlich ist: allen voran der Klimawandel. Aber auch in anderen Bereichen kriselt es zwischen den Generationen. So steht auch die erste Säule der Altersvorsorge auf wackligen Beinen. Diese basiert darauf, dass jüngere Erwerbstätige die Renten der Alten finanzieren – in der Erwartung, dass sie dereinst selber unterstützt werden. Doch die längerfristige Finanzierung der AHV ist gefährdet, weil gegenwärtig immer mehr Rentnerinnen und Rentner länger leben und erst noch einer sinkenden Zahl an Erwerbstätigen gegenüberstehen.

Tatsächlich wird der Ausdruck «Generationenvertrag» meist im Zusammenhang mit der AHV verwendet – als stehender Begriff für die Solidarität zwischen den Generationen. Gemäss dem Basler Historiker Bernard Degen gab es so etwas wie einen Generationenvertrag aber bereits vor dem Aufbau des Sozialstaats – wenn er auch noch nicht so genannt wurde. So sei die Schweiz bis Mitte des 19. Jahrhunderts ländlich geprägt gewesen. «Der Generationenvertrag war inhärent, weil in Bauernfamilien die Alten den Hof irgendwann den Jüngeren übergaben, die Alten aber weiter dort wohnten und von der Solidarität ihrer Nachfahren profitierten.» Allerdings seien die Menschen damals viel weniger alt geworden. Mit der Industrialisierung, den neuen Arbeitsformen und der gewaltigen Migration mussten dann neue Wege gefunden werden, um diese generationenübergreifende Solidarität weiterhin zu gewährleisten. «Man kann sagen, dass eine Verlagerung des Generationenvertrags von der Familie auf den Staat stattfand», so Degen.

Katholiken propagierten Familienpolitik als Alternative

Dass der Sozialstaat gegründet wurde, war auch eine Folge eines veränderten Umgangs mit armen Menschen ab Mitte des 19. Jahrhunderts. «Früher gaben Kirchen und gemeinnützige Organisationen den Armen Almosen. Neu differenzierte man zwischen selbstverschuldeten und unverschuldeten Armen», sagt Degen. Während «Selbstverschuldete» weiterhin nur das Nötigste erhielten, sollten «Unverschuldeten» durch den Staat abgesichert werden. So wurden 1914 nach deutschem Vorbild und nach einigen gescheiterten Anläufen Kranken- und Unfallversicherung geschaffen. Prägende Figur war dabei der Zürcher FDP-Politiker Ludwig Forrer. Reformierte wie Forrer gehörten gemäss Degen in der Regel dem «Reform-Freisinn» an, der die Entwicklung des Sozialstaats vorantrieb. Ganz anders die Katholisch-Konservativen: Sie waren massgeblich daran beteiligt, dass der erste nationale Anlauf zur Einführung der AHV im Jahr 1931 vor dem Volk deutlich scheiterte. Mit ihrer «Familienbewegung» stellten sie Familienpolitik als eine Alternative zum Sozialstaat dar. Staatliche Leistungen, so die Befürchtung, würden die familiären Hilfsstrukturen untergraben.

Zwar klappte es – nachdem einige Kantone im Alleingang vorangeprescht waren – im zweiten Anlauf 1947 dann doch noch: Das Volk stimmte der Einführung der AHV zu, wobei die ersten Altersrenten gerade einmal 40 Franken betrugen. Doch die jahrelange Kampagne der Kirchlich-Konservativen hatte ihre ideologische Wirkung erzielt. «Das traditionelle Familienbild war bei der Ausgestaltung der Sozialversicherungen entscheidend. Die AHV war vollständig auf der Rolle des Manns als Ernährer aufgebaut», so Degen. Frauen erhielten nur eine Rente, wenn sie verwitwet waren oder selbst einbezahlt hatten. Mit vielen Reformen sei dies über die Jahre etwas abgefedert worden, bei der AHV beispielsweise durch die Einführung von Erziehungsgutschriften.

Der Blick auf die Geschichte also: Die Verhandlung des Generationenvertrags war noch nie ein brüderlicher und schwesterlicher Akt der Solidarität, sondern stets ein mit harten Bandagen geführter politischer Kampf. Dass viele Junge heute eine Neuverhandlung einfordern, hat mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun: einem gesteigerten Bewusstsein für die Folgen der Klimakrise, der Demografie (Menschen leben immer länger) und dem Trend zur Teilzeitarbeit (veränderte Rollenbilder und neues Verhältnis zur Arbeit). Wobei nicht vergessen werden darf, dass mehr alte Menschen der Gesellschaft auch viel Positives bringen. Leben immer mehr Rentnerinnen und Rentner länger, dann engagieren sie sich auch mehr – im Ehrenamt etwa oder bei der Betreuung ihrer Enkelkinder. Diese Arbeit taucht in keiner Statistik auf. Dennoch: Die Mitglieder der Generation Z, wie die ab 1997 geborenen genannt werden, fühlen sich benachteiligt. Das machte kürzlich die 22-jährige Autorin Valentina Vapaux an einem Podium der NZZ zum Thema deutlich. «Der Klimawandel, die AHV und die Corona-Pandemie: Wir sind die Verlierer des Generationenvertrags», sagte sie. Sie sprach dabei auch die Tatsache an, dass die Jungen während der Pandemie zwei Jahre lang auf vieles verzichten mussten – aus Solidarität zu den Alten. Auf den häufig vorgebrachten Vorwurf, ihre Generation sei «Ich-bezogen», sagte Vapeaux: «Wir fordern ja lediglich, dass auch wir eine schöne Zukunft haben auf diesem Planeten.»

AHV: Generationenvertrag neu verhandeln

Die AHV gilt als solidarische Versicherung, da jüngere Erwerbstätige die Renten von Alten finanzieren. Allerdings werden diese Transfers in Zukunft nicht mehr genügen, wie Szenarien zeigen. Zum einen geht die Babyboomer-Generation in Pension, gleichzeitig sinkt die Geburtenrate. 1970 hatten sich noch fünf Erwerbstätige die Finanzierung einer Altersrente geteilt, heute sind es nur noch drei. Zum anderen werden die Menschen immer älter und erhalten so auch länger eine Rente. Heute leben Frauen im Schnitt 24 Jahre, Männer 20 Jahre in Pension. Bei der Einführung der AHV im Jahr 1947 waren es lediglich 14 bzw. 12 Jahre. Politische Vorstösse zur AHV gibt es zuhauf. Entweder wird gefordert, den Gürtel enger zu schnallen oder das Rentenalter für alle zu erhöhen. Oder aber es werden neue Finanzierungsquellen gesucht, um dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung zu tragen. Gemäss Zahlen des Bundes könnte die Zukunft der AHV gesichert werden, wenn die Mehrwertsteuer um 2,2 Prozent erhöht würde. Dies hätte den Vorteil, dass die Alten ihre eigenen Renten mitfinanzieren – und sich der Generationenkonflikt so nicht weiter zusptitzt. «Es kostet etwas, aber das Problem ist lösbar, finanzierbar», sagte der ehemalige SP-Politiker und Preisüberwacher Rudolf Strahm dazu kürzlich an einem NZZ-Podium zum Thema Generationenvertrag.

Quelle: www.ref.ch, 7. Juni 2023, Andres Eberhard