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«Der Tod gehört zum Leben»

Hilde Teuscher aus Oberwil begleitet Schwerkranke, Sterbende und deren Angehörige in ihrem Abschiedsprozess.

«Sogar der Tod wird heutzutage theoretisiert.» Nachdenklich blickt Hilde Teuscher aus dem Fenster ihrer Wohnstube in Oberwil im Simmental. «Wir müssen dem Lauf der Natur und dem Sterben wieder mehr Zeit lassen.» Die Niedersimmentalerin ist eine von vielen freiwilligen Betreuerinnen von «beocare – Entlastung Angehörige SRK».  Im Rahmen dieses Angebots des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) kommt sie in palliativen Situationen zum Einsatz. Sie begleitet Schwerkranke, Sterbende und deren Angehörige im ganzen Berner Oberland in ihrem Abschiedsprozess.

Im Stillen beobachten

«Es ist wichtig, den Sterbenden ernst zu nehmen und gut zu beobachten, einfach ganz im Stillen.» Davon ist Teuscher überzeugt. «Jeder Mensch macht auf seinem letzten Weg einen ganz eigenen Prozess durch. Das braucht Zeit und Geduld.» Geduld, Einfühlsamkeit und Ausdauer sind denn auch Eigenschaften, welche die 69-Jährige auszeichnen. Qualitäten, die sie während ihres Lebens oft genug unter Beweis gestellt hat. Und die Bereitschaft, sich immer wieder Neuem zu öffnen. Etwa, als sie mit 48 Jahren noch Autofahren lernte. «Ich wohne so abgelegen, da braucht es einfach ein Auto!» Als ihr Mann verstarb, war Hilde Teuscher auf sich gestellt. Das Auto benötigte sie für den Arbeitsweg zum Altersheim an der Lenk, wo sie als Pflegeassistentin tätig war. Da hat auch ihr Interesse für die Palliative Care seinen Ursprung. «Schon im Berufsleben in der Pflege kam ich natürlich mit der Palliativ-Begleitung in Berührung. Nach der Pensionierung wollte ich damit weitermachen und absolvierte deshalb die Weiterbildung des SRK.»

Liebe zu den Menschen

Mit 18 hatte sie im Inselspital Bern «Spitalgehilfin, wie man damals noch sagte», gelernt. «Bis zur Heirat nahm ich dann eine Stelle im Spital Zweisimmen an.» Hauptberuflich war die «waschechte Oberwilerin» jedoch Hausfrau und Mutter: «Zusammen mit meinem Mann und meinen beiden Kindern lebte ich in einem Mehrgenerationenhaushalt.» In ihren Augen blitzt Freude auf, wenn sie aus dem Leben erzählt. Als die Kinder erwachsen waren, nahm sie im Altersheim Lenk die Stelle als Nachtwache an. «Gerade als ich pensioniert wurde, verstarb mein Mann nach längerer Krankheit. So war ich dankbar, im Altersheim noch zwei Jahre länger im Tagdienst arbeiten zu können.» Die Liebe zu den Menschen und das Zurücknehmen eigener Bedürfnisse und Gefühle haben sie stets begleitet, ganz im christlichen Sinne der Nächstenliebe. So erstaunt es nicht, dass Teuscher, die seit jungen Jahren auch in der Kirche aktiv ist, eine theologische Ausbildung absolviert hat und sogar Gottesdienste leitet, anderen Menschen hilft. Die Lebenserfahrung, der berufliche Hintergrund und die Erfahrung als Mutter und Hausfrau sind gleichermassen von Vorteil für ihr Engagement, das sehr viel Gespür und Einfühlungsvermögen voraussetzt. Palliative Begleitung erstreckt sich oft über einen längeren Zeitraum. «Je besser man sich kennt und von Beginn an eine Vertrauensbasis aufbauen kann, desto besser kann ich dann auch unterstützen.»

Eine erfüllende Aufgabe

Denn die Palliative Care solle nicht nur das Dasein schwerkranker und sterbender Menschen erleichtern, «sondern auch die Angehörigen entlasten», wie Hilde Teuscher erklärt: «Ihre Situation ist schwierig genug, und so haben sie einmal etwas Zeit für sich – oder können mir ihr Herz ausschütten.» Ob bei Angehörigen oder Patienten – für die Palliativbegleiterin ist es entscheidend, bei ihrer Arbeit selbst ganz zurückzustehen. «Mein Gegenüber kommt zuerst.» Dies setze auch Beobachtungsgabe voraus: «Zeigt ein schwerkranker Mensch Schmerz an, etwa, indem er sein Gesicht verzieht? Hat eine betagte Person Angst oder ist sie traurig?» Gerade auch Angst und Traurigkeit seien ernst zu nehmen. «Bei Schmerzen gilt es, gut darauf zu achten, wie eine Person gebettet und gelagert ist – und, je nach Situation, umgehend die Familie oder eine Fachperson zu orientieren.» Palliative Care sei herausfordernd, gibt Teuscher zu bedenken. «Etwa, wenn es um jüngere Patienten geht, um Krebspatienten, Menschen mit Atemnot oder anderen schlimmen Leiden.» Aber es sei eine sehr erfüllende Aufgabe, die auch viele schöne Momente mit sich bringe. «Etwa, wenn man die Dankbarkeit spürt.» Und eines ist für Hilde Teuscher ohnehin klar: «Der Tod gehört zum Leben.»

Menschen im Sterbeprozess begleiten

Menschen im Sterbeprozess begleiten und ihre Lebensqualität so gut als möglich erhalten. Auf diese anspruchsvolle Aufgabe bereitet ein Lehrgang des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) Interessierte vor. Als «Passage SRK – Lehrgang in Palliative Care für Angehörige und Freiwillige im Obersimmental/Saanenland» ist der Kurs ausgeschrieben. In acht Kurstagen lernen die Interessierten, wie sie ihre Rolle als Begleiterin oder Begleiter am besten wahrnehmen können. «Die verbale und die nonverbale Kommunikation, die Schmerzlinderung und der Umgang mit Trauer sind zentrale Kursthemen», erklärt die Verantwortliche Corinne Saurer. «Weiter werden wichtige ethische und rechtliche Aspekte behandelt. Man lernt sowohl die eigenen als auch gesellschaftliche Einstellungen zum Sterben und zum Tod kennen.» Ausserdem werde im Kurs offen über das Erkennen und den Umgang mit eigenen Grenzen gesprochen, um zu wissen, wann und wo man Unterstützung erhalte. Angesprochen sind «Interessierte, die sich grundlegend mit Sterbebegleitung auseinandersetzen oder sich auf die Rolle als Freiwillige/r in der Sterbebegleitung vorbereiten möchten». Organisiert wird der Lehrgang von «beocare – Bildung SRK» und «beocare – Entlastung Angehörige SRK», der Entlastungsstelle des SRK für Angehörige im Berner Oberland.

Quelle: www.thunertagblatt.ch, 03.05.2021, Hans Peter Roth