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Notfallseelsorge: Zuhören und Nachfragen

170 Tote forderten die Überschwemmungen in Deutschland. Über 150 Menschen werden vermisst. Reformiert.info hatte Einblick in die Arbeit der Notfallseelsorge im Katastrophengebiet und in der Schweiz.

«Ich bin im Einsatzmodus, fokussiert auf meine Aufgabe», sagt Albrecht Roebke, Leiter der ökumenischen Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg. Darum gehe es ihm soweit gut. Mit schlimmen Grossereignissen ist der evangelische Pfarrer vertraut. Die tödliche Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg, der Germanwings-Absturz zum Beispiel. Was bei der jetzigen Flutkatastrophe in Deutschland anders sei: «Es sind besonders viele Menschen betroffen und unser Einsatz wird lange dauern.» Mit rund 30 Leuten ist die von Roebke geleitete ökumenische Notfallseelsorge im Katastrophengebiet der Region Bonn unterwegs. Erst an den Evakuierungspunkten für die Menschen, die mit nichts ausser den nassen Kleidern am Leib ankamen. Dort hat Roebke viele tragische Geschichten gehört wie: Der Mann will nochmal umparkieren, um das Auto zu retten, kommt nicht zurück, die Familie im Haus wird evakuiert und die Frau hat keine Ahnung, was mit ihrem Mann passiert ist.»

Seelsorge im Katastrophengebiet

Nach und nach verschiebe sich die Hilfe jetzt zurück in erste wieder begehbare Dörfer, berichtet Roebke. Die Menschen dort gelte es weiter zu begleiten. «Das gelingt gut, auch weil wir an den Sammelstellen mit vielen schon einen ersten Kontakt hatten.» Auch um die Einsatzkräfte kümmert sich die Notfallseelsorge. «Heute hatten wir schon fünf Interventionen, die werden sich in der nächsten Zeit vervielfachen», erzählt der Pfarrer. Und wie hilft sein Team? «Zuhören, erzählen lassen, denn wenn ich erzähle, ist die akute Lebensgefahr erst einmal gebannt», sagt Roebke. Und dann zum Beispiel an bewährte persönliche Bewältigungsstrategien im kleinen Alltagsstress erinnern. «Auch wenn das die Leute erst nicht glauben können – Spazierengehen kann auch in Extremsituationen helfen.» Unterstützende Rituale gebe es auch in seiner Arbeit als Notfallseelsorger, sagt Roebke. Zum Beispiel die Einsatzjacke, die man an- und ablege. «Das hilft zwischen Professionellem und Privatem zu unterscheiden.». Ansonsten freut sich der Pfarrer darauf, wieder einmal richtig zu schlafen.

Seelsorge für die Rettungskräfte

Unter Stress waren in der letzten Zeit auch die Feuerwehrleute im Kanton Zürich - wegen des heftigen Unwetters vor gut einer Woche und der Hochwasserbedrohung. «Das ist aber nicht vergleichbar mit der Situation in Deutschland, wo man Tote birgt, und es noch viele Vermisste gibt», sagt Roger Müller, Seelsorger bei Schutz & Rettung Zürich. Nicht zu wissen, auf was man bei Aufräumarbeiten stosse, sei sehr belastend. «Und viele der Rettungskräfte, die dort fast rund um die Uhr arbeiten, haben vielleicht selbst viel verloren», fügt er an. An Rettungseinsätze geht Müller normalerweise nicht. «Da stört man nur, denn in diesem Moment arbeiten die Leute unter Hochdruck.» Danach sucht er aber das Gespräch auf den Rettungswachen und den Feuerwehrdepots. Ansprechpartner gibt es viele für die Rettungskräfte. Zuerst die Kollegen und Kolleginnen, die dasselbe erlebt haben. Einige von ihnen sind als «Peers» psychologisch ausgebildet. An sie kann man sich ebenso wenden, wie an den psychologischen Dienst oder eben den Seelsorger. Eine wichtige Aufgabe von Müller ist der Unterricht an der Höheren Fachschule für Rettungsberufe HFRB, wo die künftigen Berufsfeuerwehrleute und Rettungssanitäterinnen ausgebildet werden. Dort sensibilisiert der reformierte Theologe für Prävention und Nachsorge.

Seelsorge für die Opfer

«Mir ging der Murgang in Brienz 2005 durch den Kopf, als ich die Bilder aus Deutschland sah», sagt Irmela Moser. Die Dimension der Katastrophe im Nachbarland sei aber unvorstellbar grösser, fügt sie an. Die reformierte Theologin leitet das Care Team Kanton Bern. Dieses kümmert sich nicht primär um die Rettungskräfte, sondern um die Betroffenen. In Brienz wurden damals 48 Häuser zerstört, zwei Personen starben. In jeder Notfallsituation gehe es darum, im allgemeinen Chaos den Menschen zuzuhören, nachzufragen, herauszufinden, was der nächste gangbare Schritt sei, sagt Moser. «Vielleicht ist das dann erst einmal nur, etwas zu trinken.» Psychologische Hilfe sei wichtig, aber in Situationen wie in Deutschland brauche es in einer ersten Phase vor allem praktische Hilfe von staatlichen Einrichtungen. «Den Menschen ein Dach über dem Kopf und ein warmes Essen geben.» Entstanden ist die bernische Notfallseelsorge, als 1999 beim Canyoning im Saxetbach in der Nähe von Interlaken 23 junge Touristen und Touristinnen ertranken. Aus der spontanen Hilfe vor allem von örtlichen Pfarrpersonen und Armeeseelsorgern haben die Landeskirchen danach die bernische Notfallseelsorge, das heutige Care Team Kanton Bern aufgebaut. In Deutschland werde es viel Aufarbeitung brauchen, sagt Moser. Für die Rettungskräfte sei die Situation traumatisch: «Man ist im Dauereinsatz und kann doch so viele nicht retten.»

Quelle: reformiert.info, Christa Amstutz Gafner, 21. Juli 2021