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Refbejuso: Den eigenen Tod vor Augen

Seelsorger Pascal Mösli lud in der Kirche Mühleberg ein, über das Sterben nachzudenken. Der 52-jährige Theologe leitet in der reformierten Landeskirche den Bereich Spezialseelsorge und Palliative Care.

Gut sterben, geht das? Und wenn ja, wie? Die Gesprächsrunde in der Kirche Mühleberg muss nicht lange nach einer Antwort suchen. Zu intensiv hallt nach, was eine Teilnehmerin gerade erzählt hat. Die Frau sprach vom Tod ihres Mannes, alle, die ihm nahe waren, hatten sich um ihn herum versammelt. Er habe seine letzten Minuten im vollen Bewusstsein gelebt, dass er nun sterben werde, hielt sie fest. Sie habe geantwortet: «Gut, wir lassen dich gehen.» Worauf wiederum er erwidert habe: «Ihr müsst mich gehen lassen.» Es war Nacht, und der Vollmond schien. Von draussen drang, so die Frau weiter, «das Glöggele der Tiere» herein, die der Sterbende so liebte. So kam es, dass niemand weinte, als es so weit war. «Es war ein schöner, intensiver Moment.»

Der Dialog

In einer Zeit, in der die Dunkelheit überhand nimmt und der Tod mit Allerheiligen und Allerseelen allgegenwärtig ist, redet Pascal Mösli mit den Leuten aus Mühleberg und Umgebung über das Sterben. Er tut dies schon länger in ähnlichen Gesprächskreisen im ganzen Kanton, und er kann aus dem Vollen schöpfen: Der 52-jährige Theologe leitet nach Stationen in Pfarramt und Spitalseelsorge in der reformierten Landeskirche den Bereich Spezialseelsorge und Palliative Care. Mit seinem Angebot reist Mösli von Kirchgemeinde zu Kirchgemeinde. Das Interesse an den Anlässen sei immer gross, sagt er. In Mühleberg ist das mit über 50 Anwesenden nicht anders.

Dass der einzelne Abend keinem starren Ablauf folgt, ist ihm wichtig. Er verstehe sich als Impulsgeber und Dialogpartner, ihm sei wichtig, dass das Publikum zu Wort komme. So gibt es auch in Mühleberg zur Frage des guten Sterbens durchaus gegenteilige Ansichten. Nicht alle teilen nämlich die Meinung, dass es den Sterbenden hilft, wenn ihnen Verwandte und Freunde beistehen. Gleich mehrere werfen ein, viele Leute seien in ihrer letzten Stunde lieber allein. Mösli hält dazu fest: Als Sterbebegleiter erlebe er tatsächlich, wie Sterbende just dann ihren letzten Atemzug täten, wenn sich die Angehörigen für einen Moment zurückzögen. Beim Sterben gebe es indes kein Richtig und Falsch. «Es ist eine sehr individuelle Sache.»

Das Erlebnis


Für ihn persönlich, sagt Mösli, spiele in diesem Zusammenhang ein Ereignis aus der Schulzeit eine wichtige Rolle. Er erzählt vom Velounfall, der ihm als 11-Jährigem einen Milzriss und einen Aufenthalt im Inselspital einbrachte. Dort lag er neben einem gerade mal zwei Jahre älteren Jugendlichen, der unheilbar an Krebs erkrankt war. «Er war sehr ruhig und sehr kraftvoll. Die Leute, die ihn besuchten, kamen traurig ins Zimmer und gingen fröhlich wieder hinaus.» Noch an der Beerdigung sei diese positive Stimmung zu spüren gewesen. Nach diesem tiefgründigen Erlebnis habe er seine Comics weggelegt, berichtet Mösli weiter. «Seither bin ich mit dem Thema unterwegs.»

Das Ritual

Wie schwierig er den Umgang der heutigen Zeit mit dem Sterben und dem Tod findet, lässt Mösli offen durchblicken. Im Film und auch in den Medien sei das Thema zwar allgegenwärtig, aus dem Alltag in seinem Quartier in der Stadt Bern dagegen mehr oder weniger ausgeklammert. Nur die Sirene der Sanitätspolizei erinnere ab und zu an die Endlichkeit des Lebens. Dass es früher anders war, wissen in der Kirche Mühleberg noch einige. Sie erzählen von den Trauerzügen, die das Leben in den Dörfern jeweils für eine kurze Zeit zum Erliegen brachten. Sie begannen beim Wohnhaus, wo der Verstorbene aufgebahrt lag, und endeten auf dem Friedhof. Zu erleben, welche Mühen gerade die älteren Leute mit diesen teils langen Märschen auf sich genommen hätten, sei sehr eindrücklich gewesen. Mösli redet derweil von einem Ritual. Die Trauerzüge seien die Form gewesen, in der die Gesellschaft damals Abschied genommen habe. «Sie führten vor Augen, dass der Tod ein Teil des Lebens ist.»

Die Hinterbliebenen

Dann wirft er einen Blick in die Statistik, erinnert daran, dass in der Schweiz jedes Jahr rund 70'000 Menschen sterben. Zurück bleibt eine weit grössere Zahl von Bekannten und Verwandten, die mit dem Verlust zurechtkommen müssen. Ihre Situation beschreibt Mösli mit einem Zitat der bereits 1975 verstorbenen jüdischen Dichterin Mascha Kaléko: «Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.»

Quelle: Berner Zeitung, 01.11.2018, 21:04 Uhr, Stephan Künzi