headerbild
Logo RefBeJuSo

Thun: Bei Online-Gottesdiensten scheiden sich die Geister

Über die Ostertage wurden zahlreiche Gottesdienste und Andachten per Video aufgenommen und im Internet hochgeladen. Die Kirche im Netz ist jedoch umstritten.

Wie können die Menschen in der Zeit des gesellschaftlichen Stillstandes erreicht werden? Mit dieser Frage haben sich nach der Bekanntgabe der Corona-Massnahmen auch in unserer Region viele Pfarrpersonen und Kirchgemeinderäte auseinandergesetzt. Einige Theologen und auch die Evangelische Allianz Thun haben sich dafür entschieden, Videos mit Gottesdiensten oder Worte für Seele und Geist in zum Teil leeren Kirchen zu filmen und im Internet hochzuladen. Insbesondere über die Ostertage konnten zahlreiche verschiedene Predigten im Netz angeklickt werden. Für all diejenigen, die im Internet nicht selber auftreten wollten, ist für Thun, die Region und für das Berner Oberland Kirchenradio.ch eingesprungen. Diese heute umfangreiche Website mit kirchlichen Sendungen, Gottesdiensten, Geschichten aus dem Leben und Musik hat der Thuner Radiojournalist Hans Stalder 2019 mit seiner Firma Medienproduktion Wendelsee GmbH gegründet. Seither wurde die Site stetig weiter ausgebaut. Mit seinem Angebot will Hans Stalder auf das veränderte Konsumverhalten reagieren: «Die Menschen, vor allem die Jüngeren, wollen auswählen können und selber bestimmen, wann sie was hören oder sehen wollen.» Nach Stalders Empfinden hat das Webradio mit der Corona-Krise einen noch höheren Stellenwert erhalten.

8784 Klicks

Die Statistik auf der Website von Stalders Firma scheint diesen Trend zu bestätigen. Bis zum Dienstag nach Ostern zum Beispiel wurde die Osternachtfeier mit der Thuner Pfarrerin Uta Ungerer insgesamt 7216- und der Ostergottesdienst aus der Johanneskirche Thun mit Pfarrer Beat Beutler 8784-mal angeklickt. Wie ein Bericht im "Thuner Tagblatt" vom 28. März bestätigt, sind die Onlineandachten des Pfarrteams der reformierten Kirche Reichenbach, nach Aussage von Pfarrer Markus Lemp, viel öfter angesehen worden als erwartet. Diese Statistiken sind für Hans Stalder ein Zeichen, dass die Kirche im Internet ein Angebot der Zukunft ist. Diese Ansicht teilen jedoch nicht alle.

Bewusst und überzeugt auf digitale Gottesdienste verzichtet, hat die Reformierte Kirchgemeinde Thun-Stadt. Die Verantwortlichen empfinden viele dieser Angebote im Netz als qualitativ ungenügend. Der Kirchgemeinderat und die Mitarbeitenden setzen auf persönliche Kontakte und auf praktische Hilfeleistungen im Alltag. Dazu Heinz Leuenberger, Pfarrer und Präsident des Kirchgemeinderates, gegenüber dieser Zeitung: «Der persönliche Kontakt zu den Menschen steht in unserer Kirchgemeinde, das heisst bei unseren Pfarrpersonen, den Katechetinnen und Katecheten, den sozialdiakonischen Mitarbeitenden und dem Kirchgemeinderat, gerade in dieser Corona-Zeit im Mittelpunkt. Wir wollen ansprechbar sein.» Wie Heinz Leuenberger weiter ausführt, leisten gerade in dieser speziellen Zeit die Pfarrpersonen in intensiver Weise Seelsorgearbeit per Telefon und E-Mails und verfassen gottesdienstlich-meditative Texte für die Homepage. «Wir alle wollen für die Menschen nahbar sein, und zwar vor, während und nach Corona», so Leuenberger weiter.

Nur vorübergehend

Einen Weg dazwischen hat das Pfarrteam der Kirchgemeinde Thierachern gewählt. Im Vordergrund standen, wie bei der Kirchgemeinde Thun-Stadt, Seelsorge per Telefon und Nachbarschaftshilfe. Aufgenommen und ins Netz gestellt wurden lediglich die Osternachtfeiern in Uetendorf und Thierachern. Darüber wurden die Bürgerinnen und Bürger in Uetendorf, Thierachern und Uebeschi vorgängig via Flugblatt informiert. Dazu Pfarrerin Nicole Schultz Schibler: «Wir waren der Meinung, dass jetzt nicht jede einzelne Kirchgemeinde in ihrer eigenen Kirche mit ihren eigenen Pfarrern Filme machen muss. Zudem findet nicht alles, was aufgeschaltet wird, auch überall Gefallen. Die Aufnahmen müssten professionell gemacht werden.» Der Aufwand für qualitativ gute Produktionen sei jedoch für Pfarrteams enorm, so Schultz weiter. Ob und wie in ihrer Kirchgemeinde nach der Corona-Krise weitere Internetauftritte produziert würden, sei noch nicht definitiv festgelegt.

Meinungen geteilt

In der Bevölkerung sind die Meinungen über mehr digitale Auftritte der Kirche geteilt. Zwei Drittel der 50 vom Thuner Tagblatt befragten Frauen und Männer haben über die Ostertage weder einen Gottesdienst im Internet besucht noch wünschen sie mehr digitale Auftritte. Gefragt sind Radio, Fernsehen oder gar nichts. Christian Haueter aus Seftigen hört regelmässig Gottesdienste im Radio, so auch an Ostern. Ein Bedürfnis nach weiteren Angeboten im Netzt sieht er derzeit nicht. Einige haben den Ostergottesdienst, die Messe von Papst Franziskus, aus dem Petersdom in Rom bei SRF im Fernsehen angesehen oder den Gottesdienst der Allianz Thun und den Gottesdienst auf Kirchenradio.ch im Internet besucht. Albert Rösti, der Gemeindepräsident von Uetendorf, hat im Internet keinen Gottesdienst besucht, schreibt jedoch auf Anfrage dazu: «Für mich hat der Anblick der wunderbaren Natur im Frühlingserwachen die nötige Kulisse für Andacht und Demut gegenüber der Schöpfung geboten. Ich finde es aber gut, dass vonseiten der Kirche ein digitales Angebot geschaffen wurde. Ich könnte mir durchaus auch vorstellen, dieses zu konsumieren.»

Die Nähe spüren

Die Meinungen zu den zahlreichen Laienauftritten von Pfarrpersonen im Internet, vor und während der Osterzeit, sind sowohl bei den Reformierten in Deutschland als auch bei Angehörigen der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn umstrittn. Die deutsche Kolumnistin Hanna Jacobs aus Bremervörde schreibt in ihrem Beitrag «Evangelische Kirchen, schwaches Signal» auf www.zeit.de unter anderem: «Die Mehrheit scheint aber, das zeigen die Klickzahlen gnadenloser, als es jede Kirchgangstatistik vermag, nach Qualität auszuwählen. Klar im Vorteil ist hier, wer schon lange vor dem coronabedingten Kirchgangverbot digitale Formate erprobt hat.» Genau so sehen es auch die Befragten, die regelmässig an kirchlichen Anlässen teilnehmen. Sie bevorzugen den Livegottesdienst in ihren Kirchen, um das Wort Gottes mit anderen Gläubigen gemeinsam zu hören. So auch der Thuner Anton Genna, der ehemalige Kirchenschreiber der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Er hat sich zwar im Netz unter anderem den Karfreitagsgottesdienst mit den Pfarrern Gottfried Locher und Christoph Sigrist aus dem Grossmünster in Zürich und den Ostergottesdienst aus der Johanneskirche Thun angesehen. Für ihn, und für viele Kirchenmitglieder mit ihm, steht jedoch das Zusammensein der Menschen in der Kirche im Mittelpunkt: «Für mich ist die Rückkehr zu Livegottesdiensten in den Kirchen wichtig. Hier geht es auch um die Gemeinschaft, nicht nur um Verkündigung.»

Quelle: Thuner Tagblatt online, Debora Stulz, 20.04.2020