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Thun-Stadt: Kriegsflüchtlinge kochen in der Kirche Schönau

In der Küche der Schönaukirche in Thun werden Lebensmittel verwertet. Von Ukrainerinnen und Ukrainern, die von der Spiezerin Sheila Novytskyi und ihrem Mann Serhii aufgenommen wurden.

Krieg, Elend und Zerstörung. «Mir schwirrte der Kopf», erzählt Sheila Novytskyi. Nachdenklich blickt sie zu den zehn geflüchteten Ukrainern, die gerade Gemüse fein schneiden. «Ich musste helfen.» Sheila Novytskyi wohnt mit ihrem Mann Serhii, gesprochen «Sergei», welcher im Gwatt ein Tattoostudio betreibt, in Spiez. Er stammt aus Cherson, der seit Kriegsbeginn heftig umkämpften Hafenstadt im Süden der Ukraine. Kurzerhand organisierte das Paar Anfang März einen Transport. Mit drei Privatautos fuhren sie an die polnisch-ukrainische Grenze, um Flüchtende aufzunehmen. «Dort angekommen, stellten wir uns mit einem Plakat hin», berichtet Novytskyi: «Schweizer Familie bietet ein Zuhause», sei darauf gestanden. Knapp einen Monat später stehen die geretteten Flüchtlinge in der Küche der Schönaukirche und bereiten heimische Speisen zu.

Sechs und eine Katze

«Das Misstrauen der Geflüchteten an der polnischen Grenze war anfänglich gross», fährt Novytskyi fort. «Niemand wollte bei uns einsteigen.» Verzweifelt sei sie gewesen, nach über 20 Stunden Fahrt. Jedoch hätten sie den Argwohn der Menschen rasch begriffen: «Denn Kinder- und Frauenhändler lauerten bereits.» Erst nach einer Kontrolle durch ukrainische Beamte seien die Leute auf sie zugekommen: «Plötzlich waren die Autos voll, und wir fuhren los in Richtung Schweiz.» 42 Geflüchtete – Frauen, Kinder, aber auch Männer über 60 Jahre – haben Sheila Novytskyi und ihr Mann Serhii bereits aufgenommen. «Sechs wohnen bei uns – und eine Katze.» Sie lacht. Haustierbesitzer hätten ihre Lieblinge mitgenommen. «Eigentlich mag ich keine Tiere im Haushalt, aber in diesem Fall konnte ich nicht Nein sagen.» Sogar einen Kratzbaum hat Sheila Novytskyi gekauft und die Katzenbesitzerin damit zu Tränen gerührt. Die übrigen Aufgenommenen haben bei Bekannten von Sheila Novytskyi Unterschlupf gefunden: «Alle im Umkreis von Spiez.» Auch Serhiis Tochter sowie seine Mutter und seine Schwester leben nun hier. Sein Bruder habe in der Ukraine bleiben müssen: «Weil er im wehrfähigen Alter ist, kämpft er nun im Krieg.»

Keine Zeit zum Grübeln

Sheila Novytskyi und ihrem Mann bleibt keine Zeit zum Grübeln. Neben dem Obdach bietet das Ehepaar den Geflüchteten weitere Unterstützung: «Wir machen viele Behördengänge, nehmen Spenden entgegen, suchen Arbeitsangebote.» Und dies mit Erfolg. Drei Frauen hätten bereits in eine regionale Autogarage vermittelt werden können. «Nie habe jemand so sauber geputzt und Autos poliert, erzählte mir der Chef», sagt Sheila Novytskyi ein bisschen stolz. Unterstützung erhält die Spiezerin auch von Sandra Kissling vom Frischen Fritz in Thun. Als Kissling von Novytskyis Engagement für die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer erfuhr, kam ihr eine Idee. Die Geflüchteten könnten gerettete Lebensmittel aus dem Frischen Fritz verarbeiten. «So kam es, dass uns die Reformierte Kirchgemeinde Thun die Küche der Schönaukirche zur Verfügung stellte», erzählt Sandra Kissling. «Dort dürfen wir nun jeden Montag unsere Lebensmittel einkochen.»

Spenden für ukrainische Küchenhelfer

Die eingemachten Speisen sind gegen freiwillige Spenden ab Freitag im Frischen Fritz (www.frischerfritz.ch) an der Unteren Hauptgasse erhältlich. «Das gespendete Geld wird nach Abzug der Warenkosten direkt an die ukrainischen Küchenhelfer verteilt», informiert Sandra Kissling. Dies ermögliche den Geflüchteten einerseits eine Beschäftigung, andererseits könnten sie so auch eigenes Geld verdienen, sagt Sheila Novytskyi. Emsig schneiden die zehn Ukrainerinnen und Ukrainer derweil Gemüse klein, kochen es, füllen es in Gläser ab. Es dampft und brutzelt in der Kirchenküche. Bis die Kirchgemeinde alle Formalitäten geklärt hat, bleibt es noch ein Versuch. «Aber wir sind zuversichtlich», meint Sandra Kissling. Sheila Novytskyi blickt in zufriedene Gesichter. Sie selbst ist zu Tränen gerührt, drückt einer jungen Ukrainerin einen Kuss auf die Stirn: «Es ist meine Pflicht, den Landsleuten meines Mannes zu helfen.»

Quelle: Thuner Tagblatt, 05.04.2022, Murielle Buchs