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Oberhofen: Ein Haus für den Abschied in Würde

Private Initiantinnen wollen am Thunersee ein Hospiz betreiben. Es soll sterbenden Menschen ein würdiges Leben bis zum Abschied ermöglichen. Wunsch-Immobilie ist das Turmhaus in Oberhofen.

Das neue Jahr war noch keinen Tag alt, da klingelte bei Michaela Berblinger das Telefon. Am anderen Ende eine verzweifelte Stimme, die für den schwer kranken Bruder einen Platz zum Sterben suchte. Es war keine Situation mehr für das Spital, zu jung für das Pflegeheim, und zu Hause war die Familie mit dem sich abzeichnenden frühen Tod völlig überfordert. «Es gibt für manche Menschen in ihrer letzten Lebensphase eine Versorgungslücke», sagt Michaela Berblinger. Immer wieder muss die erfahrene Pflegefachfrau und Leiterin der privaten Thunersee-Spitex gerade beim sich abzeichnenden Tod von jüngeren Menschen erfahren, dass es Situationen gibt, in denen ein situativ geeigneter Ort fürs Sterben fehlt. Ein Ort, der rund um die Uhr medizinisch fachkundige Pflege bietet, betroffene Familien entlastet und ein individuell würdiges Leben bis zum Abschied ermöglicht. Ein solcher Ort wäre ein Hospiz. Hospiz bedeutet Herberge, und in der Pflege von Schwerkranken versteht man darunter ein Haus für eine stationäre Begleitung in der letzten Lebensphase.

Hospiz fehlt im Kanton Bern

Es handelt sich dabei um eine Pflegeeinrichtung, die meist nur über wenige Betten verfügt und wie ein kleines Heim organisiert ist. Das Hospiz ist für Menschen gedacht, die an einer fortgeschrittenen, bald zum Tod führenden Erkrankung leiden und weder im Spital noch zu Hause oder in einem Pflegeheim betreut werden können oder wollen. Ein solches Hospiz fehlt in der Region Thun/Oberland, ja es fehlt im ganzen Kanton Bern. Die Initiantinnen möchten dies ändern und haben sich 2018 zum Verein Hospiz Thunersee zusammengeschlossen, mit dem Ziel, ein derartiges Haus in der Region zu schaffen und zu betreiben. Auf dem Weg zum Ziel gilt es insbesondere zwei Hürden zu überwinden: Für das Hospiz braucht es ein Haus in geeigneter Grösse und Lage, und für die Realisierung des Projektes sind mehrere Millionen Franken nötig.

Das Turmhaus in Oberhofen

Eine bestens geeignete Immobilie haben die Initiantinnen ausgemacht: das Turmhaus in Oberhofen. Grösse, Erschliessung und Lage würden stimmen. «Der wunderbare Ausblick auf das Schloss, den See und die Berge bietet eine seelisch nährende und tröstende Atmosphäre», sagt Michaela Berblinger. Das Turmhaus wurde 1864 im Auftrag der Gräfin Anna von Pourtalès als kleines Krankenhaus im Stil eines toskanischen Landhauses erbaut. Im Jahr 1919 ging die Liegenschaft als Schenkung an die Einwohnergemeinde Oberhofen.

Im Juni wird abgestimmt

Die Gemeinde plant aktuell den Verkauf der Liegenschaft unter bestimmten Voraussetzungen. Entscheiden werden im kommenden Juni die Stimmberechtigten von Oberhofen an der Urne. Über den Verkauf des Turmhauses Oberhofen wird am kommenden 13. Juni an der Urne abgestimmt. Dies gab die Gemeinde auf Anfrage bekannt. Zur Abstimmung gelangt nach Angaben von Gemeindepräsident Philippe Tobler der Verkauf an eine private Käuferschaft. Diese Käuferschaft ist offenbar als Siegerin aus der im letzten Jahr durchgeführten Ausschreibung hervorgegangen. Gesucht wurden interessierte Käufer, die bereit sind, «einen angemessenen Preis zu bezahlen». Zudem müssen die neuen Besitzer in Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege «sorgfältig und respektvoll» mit dem Turmhaus umgehen. Der Wert der prominenten, aber sanierungsbedürftigen Liegenschaft direkt am See wurde auf über 3 Millionen Franken geschätzt. Die Gemeinde Oberhofen kann einzig Erträge aus dem Verkaufserlös für gemeinnützige Zwecke verwenden. Das Kapital selber darf gemäss Schenkungsurkunde nicht angetastet werden. Das Team Hospiz Thunersee wünscht sich, dass die Bevölkerung eine öffentliche und soziale Nutzung, wie es das Hospiz wäre, einem Verkauf an eine Privatperson vorziehen wird. Damit könnte das Haus am See auch seinen ursprünglichen Zweck als kleines Krankenheim wieder erfüllen. Falls das Turmhaus an eine private Käuferschaft geht, beginnt die Objektsuche von neuem.

Gesucht: Mehrere Millionen Franken

Als zweite Herausforderung gilt es, die Finanzierung sicherzustellen. Mehrere Millionen Franken werden für den Kauf und die Sanierung einer geeigneten Liegenschaft benötigt – zumindest eine Million als Startkapital für eine mögliche Bankfinanzierung. Das ist viel Geld, wie auch den Initiantinnen bewusst ist. Die Suche nach Investoren, Spendern oder Stiftern war bisher leider ergebnislos. Doch auch hier hofft das Team nach wie vor auf den «Lucky Punch», einen Glückstreffer. Gleichzeitig öffnet sich der Verein für die Öffentlichkeit und richtet eine Plattform für Spendenbeträge ein. Die Initiantinnen, die über langjährige Erfahrung in der Krankenpflege und der erfolgreichen Führung eines KMU verfügen, gehen davon aus, dass das Hospiz im operativen Teil kostendeckend betrieben werden kann. Die Budgetierung habe man in Zusammenarbeit mit einem Treuhandbüro und mit Blick auf ausserkantonale Projekte gemacht, so Berblinger. Eine finanzielle Unterstützung durch den Kanton in einer dreijährigen Pilotphase sei in Aussicht gestellt. Weiter werden die Krankenversicherer und die Patienten einen Anteil der Kosten übernehmen. Für eine schlanke Geschäftsführung könnten Synergien mit der Thunersee-Spitex genutzt werden. «Unser Projekt funktioniert nachhaltig», sind die Initiantinnen überzeugt. Darauf, wann ein Hospiz am Thunersee seine Türen öffnen wird, kann sich Michaela Berblinger nicht festlegen. Sie hofft aber, Telefonanrufe verzweifelter Menschen in absehbarer Zeit positiv beantworten zu können.

www.hospizthunersee.ch

Quelle: www.thunertagblatt.ch, 01.02.2021, Godi Huber