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Achtsam mit sich selbst umgehen

Viele Menschen neigen dazu, sich selbst gegenüber kritisch zu sein, sich selbst zu verurteilen und hohe Erwartungen an sich zu haben. Dies kann zu Stress, Angst, Depression und anderen psychischen Belastungen führen. Dem kann mit achtsamem Selbstmitgefühl entgegengewirkt werden. Es ist ein Konzept, das darauf abzielt, uns selbst mit Freundlichkeit, Akzeptanz und Mitgefühl zu behandeln. Psychotherapeut und Eheberater Filip Pavlinec bietet dazu regelmässig Workshops an.

Achtsames Selbstmitgefühl (Mindful Self Compassion – MSC) ist ein wissenschaftlich auf seine hohe Wirksamkeit erforschtes Trainingsprogramm. Es wurde speziell dafür entwickelt, die Fähigkeit des Selbstmitgefühls zu kultivieren. Mehr zum Thema MSC unter www.msc-selbstmitgefuehl.org. 90% der Menschen sind auf irgendeine Weise hart zu sich selbst, wenn es ihnen schlecht geht. Niemand mag schwierige Gefühle und es ist naheliegend, sie nicht haben zu wollen. Damit lehnen wir aber einen Teil von uns ab und verletzen letztlich uns selbst. Selbstmitgefühl hingegen hilft uns, unseren Schmerz, unsere Emotion und somit auch die schwierigeren Teile von uns selbst zu akzeptieren und dadurch einen guten Umgang mit ihnen zu finden.

Filip Pavlinec, sind Sie glücklich?
Ja! Ich habe aber wie alle anderen Menschen glückliche wie unglückliche Momente in meinem Leben. Meine Herausforderungen und Belastungen sind nicht anders als bei anderen Menschen. Aber grundsätzlich ist es schon so, dass die Achtsamkeit und das Selbstmitgefühl meinen Umgang mit mir selbst nachhaltig und grundlegend verändert haben und dass ich mich schneller regenerieren kann. Ich kann meine Aufmerksamkeit besser lenken, damit ich mich bei schwierigen Themen nicht in kreisenden Gedanken verliere, sondern mich mit meinem Leben auseinandersetzen kann – dort, wo dies sinnvoll und nötig ist. Aber ich kann auch wieder Abstand gewinnen, meine Reserven auftanken und so viele zufriedene Momente erleben.

Kann man Glücklich-Sein trainieren?
Ja, aber man bleibt derselbe Mensch, der man war, mit gleichen Stärken und Schwächen. Und doch ist der Umgang mit sich selbst anders und mit der Zeit stellt sich schon eine Zufriedenheit und Ausgeglichenheit ein, die vorher weniger war.

Weshalb fällt es uns eigentlich so schwer, einfach nur glücklich zu sein?
Das hat sehr viel mit dem Mensch-Sein zu tun, mit der Natur des Lebens. Die Natur will, dass eine Spezie wie der Mensch überlebt. Damit wir in einer feindseligen Umgebung überleben, sind unser Nervensystem und die menschliche Natur darauf geprägt, das Negative viel mehr zu fokussieren als das Positive. Das zieht sich durch das ganze Leben hindurch. Das äussert sich in Verhaltensweisen wie in Schuldzuweisungen an andere oder Selbstkritik. Und diese Dinge machen uns das Leben schwer. Deshalb ist es auch nicht so einfach, glücklich zu sein. Ich habe einmal einen interessanten Spruch gelesen: «Sich das Leben schwer zu machen, ist einfach. Sich das Leben schön zu machen, braucht etwas Arbeit.»

Energiekrise, hohe Lebenshaltungskosten, Krieg in der Ukraine. Hinzu kommen noch persönliche Schicksalsschläge oder gesundheitliche Probleme. Bei solchen Themen kommen eher Angst oder Wut auf…
Ja, natürlich. Wir Menschen haben alle dieselben Herausforderungen in unserem Leben. Vor knapp 100 Jahren hat der amerikanischer Prediger Ronald Niebuhr das bekannte Gelassenheitsgebet geschrieben: «Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» Das kann man als Leitfaden nehmen, unabhängig von der Konfession. Bei persönlichen Schicksalsschlägen sowie Kriegen und Krisen, also Bereiche, die man nicht ändern kann, gilt es diese zu akzeptieren. Viele Leute geben Ratschläge wie «Das musst du akzeptieren» oder «Das musst du loslassen». Aber die meisten können nicht erklären, wie man das macht. Mit dem Selbstmitgefühl lernen wir, wie wir Akzeptanz aufbauen können. Das muss aber immer wieder trainiert werden. Dafür werden wir allgemein gelassener und zufriedener durchs Leben gehen.

Sie geben in Ihrem Workshop Einblick in das Thema Achtsames Selbstmitgefühl bzw. Mindful Self-Compassion. Ist MSC der Schlüssel zum Glück?
Pasqualina Perrig-Chiello, eremetierte Professorin vom psychologischen Institut der Uni Bern, hat eine sehr interessante Aussage gemacht. Sie hat nach Jahrzehnten der psychologischen Forschung festgestellt, was das Kernelement eines erfüllten Lebens ist: «Akzeptieren des Schicksals bei gleichzeitiger Aktivierung der eigenen Möglichkeiten (Selbstverantwortlichkeit) ist das Kernelement zum Verständnis eines erfüllten Lebens.» Sie sagt dasselbe wie Ronald Niebuhr in seinem Gelassenheitsgebet: Aktiviere deine Möglichkeiten, verändere dein Leben dort, wo es möglich ist. Wo du nichts verändern kannst, lerne zu akzeptieren.

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher des Workshops?
Es gibt eine Mischung zwischen Theorie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und das Konzept des Achtsamten Selbstmitgefühls wird vorgestellt. Hinzu kommt eine Reihe von Übungen für den Umgang mit dem Achtsamen Selbstmitgefühl.

Es gibt viele Ratgeber im Handel, die sich dem Glück bzw. dem Glücklich-Sein widmen. Wodurch zeichnet sich MSC Ihrer Ansicht nach besonders aus?
Man kann es auch anders ausdrücken. Eigentlich ist es die Idee der Individuation, des persönlichen Wachstums oder der Psychotherapie, dass wir eine gesunde Instanz in uns stärken. Man spricht dabei vom Kernselbst oder vom gesunden Erwachsenen. Wir reden vom mitfühlenden Selbst. Das Ziel ist, dass wir es uns zur Gewohnheit machen, dass wir – egal was um uns geschieht – in Kontakt mit dem selbstmitfühlenden Selbst bleiben und uns nicht in Schuldzuweisungen oder Rückzug verlieren. Wir uns also selbst Trost spenden und umsorgen können.

Der nächste Workshop "Achtsames Selbstmitgefühl" unter der Leitung von Filip Pavlinec, Psychotherapeut SBAP und Eheberater, findet am Montag, 23. Oktober 2023, 18:30 - 20:15 Uhr, im Kirchgemeindehaus Frutigenstrasse 22, Thun, statt. Kurskosten: Fr. 15.-. Infos und Anmeldung: Beratungsstelle Ehe · Partnerschaft · Familie, Frutigenstrasse 29, Thun, Tel. 033 222 56 88, filip.pavlinec(at)gmail.com.

Quelle: reformiert 10/23, Interview: Martin Hasler