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Schweizerischer Rat der Religionen: Klares Nein zum Verhüllungsverbot

Verschiedene Religionsgemeinschaften sprechen sich gegen ein nationales Verhüllungsverbot aus. Dass sie in dieser Deutlichkeit Stellung beziehen, kann auch als Zeichen der Nervosität angesichts der Abstimmung vom 7. März gedeutet werden.

Die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» wirkt fast ein wenig aus der Zeit gefallen: Vor zehn Jahren war das Stichwort «Islamismus» noch in aller Munde, doch heute dominieren andere Themen die öffentliche Debatte – Corona, der Klimawandel oder 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts auch die Gleichberechtigung. Dass die Initiative dennoch eine gewisse Unruhe hervorruft, lässt sich an der Zahl der Medienberichte, Interviews und Stellungnahmen dazu erkennen. Zuletzt etwa hat der Rat der Religionen seine Haltung dargelegt. Das Gremium, das sich in jüngerer Vergangenheit vor allem nach Unglücken und Terroranschlägen zu Wort meldete, hat sich klar gegen das Volksbegehren positioniert. «Die Initiative richtet sich zwar dem Wortlaut nach gegen jede Form der Gesichtsverhüllung, nimmt aber eigentlich muslimische Frauen ins Visier», begründete das Harald Rein, christkatholischer Bischof und Vorsitzender des Rates, am 25. Januar in einer virtuell durchgeführten Medienkonferenz. Es gehe also um eine Einschränkung der Religionsfreiheit und die gezielte Diskriminierung einer Religionsgemeinschaft. Deshalb wolle man dazu nicht schweigen, so Rein.

«Veritable Stoffgefängnisse»

Tatsächlich fordert die Initiative, dass Gesichtsverhüllungen jeglicher Art im öffentlichen Raum verboten werden. Dass es dabei weniger um Fussballhooligans als um muslimische Niqab-Trägerinnen geht, macht indes der zweite Absatz des Initiativtextes deutlich: Niemand dürfe eine andere Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen. Zudem wirbt auch das Initiativkomitee selbst mit der Zeichnung einer Frau im schwarzen Gesichtsschleier – begleitet von der Überzeile «Extremismus stoppen». Damit sind die zwei wichtigsten Argumente der Befürworter umrissen: Dass ein Verbot die öffentliche Sicherheit stärken und die Situation von Musliminnen in der Schweiz verbessern würde. So seien Burka und Niqab «keine normalen Kleidungsstücke», sondern vielmehr «veritable Stoffgefängnisse», heisst es auf der Website des Initiativkomitees, dem vor allem Vertreter von SVP und EDU angehören. Ein Verhüllungsverbot sei deshalb auch «keine Kleidervorschrift, sondern befreit Frauen von Erniedrigung und Unterdrückung.»

Gleichstellung per Verbot?

Genau daran zweifelt aber nicht nur der Rat der Religionen; auch andere Organisationen und Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigen, äussern Bedenken. So schrieben etwa die Evangelischen Frauen in der Vernehmlassung 2018, dass ein Verbot denjenigen Musliminnen, die wirklich zur Gesichtsverhüllung gezwungen würden, eher schaden als nützen würde. Dies weil zu befürchten wäre, dass sich diese Frauen aus dem öffentlichen Raum zurückziehen und so «in die Isolation getrieben» würden. Der Katholische Frauenbund geht noch weiter und argumentiert, dass Gesichtsverhüllung im Sinne der Selbstbestimmung zulässig sein müsse: «Gleichberechtigung bedeutet Wahlfreiheit in der Gestaltung individueller Lebensweisen», heisst es in einer Stellungnahme von Januar 2021. Ein Verbot bestimmter Kleidungsstücke führe dagegen nicht zu mehr Gleichstellung, sondern stelle «lediglich ein Instrument des Zwangs für Frauen und staatlich verordnete Kontrolle ihrer Körper dar». Auch Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) und in dieser Funktion Mitglied im Rat der Religionen, ging in der Medienkonferenz gesondert auf die Situation der Frauen ein. Der Rat der Religionen weise jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zurück. Sie wolle darum die Gemeinschaften in die Pflicht nehmen, wenn es darum gehe, dass Musliminnen bei der Wahl ihrer Kleidung tatsächlich frei seien. Der Zwang zur Verschleierung sei allerdings bereits heute unter dem Aspekt der Nötigung verboten. Damit aber betroffene Frauen zu ihrem Recht kommen könnten, brauche es kein allgemeines Verbot, sondern Aufklärung, besseren Schutz und entsprechende Anlaufstellen. «Das ist der EKS sehr wichtig», so Famos.

Eine kleine Gruppe

Die verschiedenen Religionsvertreter wiesen ausserdem darauf hin, dass viele Frauen mit Gesichtsschleier die Verhüllung nicht als Ausdruck der Ungleichheit der Geschlechter wahrnehmen würden. Montassar BenMrad, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen, verwies dazu auf eine jüngst erschienene Untersuchung der Universität Luzern. Darin kam der Religionswissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti zum Schluss, dass nur rund 30 bis 40 Frauen in der Schweiz überhaupt ihr Gesicht in dieser Weise verhüllten. Zudem würde ein Grossteil dieser Frauen den Schleier freiwillig und aus Gründen der Frömmigkeit tragen. Extremistinnen seien sie dagegen eher nicht, sagte Tunger-Zanetti gegenüber SRF. Sämtliche im Rat der Religionen vertretenen Gemeinschaften stellen sich deshalb klar hinter den Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament. Das Gleiche gilt für die Frauenorganisationen von Protestanten und Katholiken. Der Gegenvorschlag sieht vor, dass Personen ihr Gesicht zeigen müssen, wenn es für die Identifizierung durch entsprechende Behörden notwendig ist. Er setzt zudem auf konkrete Massnahmen zur Stärkung der Frauenrechte. Dies erachte der Rat der Religionen als «angemessen und verhältnismässig», heisst es in der Stellungnahme.

Eine andere Frage ist allerdings, ob die Basis der jeweiligen Religionsgemeinschaft der Empfehlung folgen wird. Schon bei der Minarett-Initiative 2009 zeigte sich, dass die offiziellen Parolen von Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft, ja sogar die im Vorfeld erstellten Abstimmungsprognosen, nicht mit dem Endresultat übereinstimmten. Dass es beim Verhüllungsverbot nun wieder ähnlich laufen könnte, darauf deutet eine Abstimmung aus dem Kanton Waadt hin: Dort hat die kantonale FDP der Initiative in einem Online-Voting zugestimmt – entgegen der klaren Nein-Parole der nationalen Partei. Vielleicht sind diese Erfahrungen mit ein Grund, warum die Religionsvertreter nun so deutlich Stellung beziehen.

Der Schweizerische Rat der Religionen

Im Mai 2006 wurde der Schweizerische Rat der Religionen gegründet. Das Gremium hat sich zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zum religiösen Frieden zu leisten, das Vertrauen unter den verschiedenen Religionsgemeinschaften zu fördern und den Dialog über religionspolitische Fragen zu unterstützen. Vertreten sind die Katholische Bischofskonferenz, die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS), die Christkatholische Kirche, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, die Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS), die Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS) sowie das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel respektive dessen Schweizer Metropolie. Der Rat der Religionen tritt in der Regel zweimal im Jahr zusammen, zuletzt am 19. Januar.

Quelle: www.ref.ch, 26. Januar 2021, Vanessa Buff