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Ukraine-Konflikt: «Explosionen haben uns geweckt»

Alexander Gross, Synodepräsident der Deutsch Evangelisch Lutherischen Kirche der Ukraine, lebt mit seiner Familie mitten im Kriegsgebiet. Wie er die letzten 24 Stunden erlebt hat und was er sich von Europa und der Schweiz wünscht, erzählt er im Interview mit Andreas Bättig von ref.ch.

Herr Gross, sind Sie in Sicherheit?
Ja, ich bin noch immer zusammen mit meiner Familie in unserem Haus in der Nähe von Odessa, im Südwesten der Ukraine. Heute ist es ruhig. Doch gestern Nacht sind wir um 5 Uhr aufgewacht, weil wir Explosionen gehört haben. Die Raketen sind etwa 30 bis 50 Kilometer von uns entfernt eingeschlagen. Es war wahnsinnig laut und auch gefährlich.

Wie haben die Menschen auf diese Invasion reagiert?
Die Supermärkte in unserem Dorf wurden leergekauft. An den Tankstellen gab es kein Benzin mehr. Und einige sind mit dem Auto geflüchtet.

Spielen Sie mit dem Gedanken, die Ukraine zu verlassen?
Nein. Und es wäre auch nicht möglich, zumindest für mich nicht. Denn es ist für Männer zwischen 18 und 60 Jahre nun verboten, das Land zu verlassen. Je nachdem, wie sich die Lage entwickelt, werde ich meine Frau und meine beiden Töchter zu Freunden nach Moldawien bringen. Die Grenze ist nur 25 Kilometer von uns entfernt.

Wie ist der Zusammenhalt Ihrer Kirche in diesen dunklen Stunden?
Sehr gut. Vier reformierte Gemeinden im Westen der Ukraine, zu der wir Freundschaft pflegen und die ein Teil unserer Kirche werden wollen, haben Hilfe angeboten. Sie sagen, dass ihre Türen für Menschen aus der Ostukraine offen stünden. Wenn es ruhig bleibt, werden wir am Sonntag Gottesdienst feiern. Wichtig ist auch, dass die soziale Küche für ältere Menschen offen bleibt. Die Menschen hier sind recht ruhig.
«Ich bete, dass der Druck des Westens noch grösser wird.»

Haben Sie etwas von Kirchen in Russland gehört?
Ja, dass Sie für den Frieden und gegen das Böse beten. Das ist immerhin ein Zeichen, denn sie haben die letzten acht Jahre geschwiegen.

Was erwarten Sie von den kommenden Tagen?
Ich bete, dass der Druck des Westens noch grösser wird. Und ich hoffe, dass die Russen mit ihrem Blitzkrieg gegen die Ukraine scheitern werden. Ich denke, sie haben die Ukraine unterschätzt. Es wird grossen Widerstand geben. Denn im Gegensatz zu den russischen Soldaten wissen die Ukrainer genau, wofür sie kämpfen. Für ihr Land. Und das werden sie bis zum letzten Mann verteidigen.
«Bei Ihnen gibt es viele schöne Banken, auf denen sehr viel Geld von Russen liegt.»

Wie nehmen Sie die Reaktion des Westens auf das Kriegsgeschehen wahr?

Ich habe gelesen, dass Grossbritannien deutliche Sanktionen ausgesprochen hat. Das finde ich gut. Über die Reaktion der USA kann ich nur lachen. Sie machen zu wenig. Von Deutschland erwarte ich nicht mehr viel. Ich bin aber froh, dass der Westen aufgewacht ist und verstanden hat, wer Putin ist. Ich bin sicher, dass zurzeit auch viel hinter dem Vorhang verhandelt wird.

Was möchten Sie den Menschen im Westen, auch der Schweiz, sagen?

Ich danke für die Unterstützung, für die lieben Worte und die Gebete. Bitte schauen Sie mit offenen Augen und Ohren, was hier gerade passiert. Nur gemeinsam können wir dem Bösen gegenüberstehen und es besiegen. Und besonders der Schweiz möchte ich sagen: Bei Ihnen gibt es viele schöne Banken, auf denen sehr viel Geld von Russen liegt. Frieren Sie diese Konten ein.

Alexander Gross ist Pastor und Synodepräsident der Deutsch Evangelisch Lutherischen Kirche der Ukraine (DELKU).

Keine Sanktionen gegen Private

Die Schweiz hat das Vorgehen Russlands gegen die Ukraine scharf verurteilt. Der Bundesrat hat zudem Sanktionen gegen Russland beschlossen. Gemäss den Aussagen verschiedener Experten des Bundes übernimmt die Schweiz faktisch alle bisher getroffenen EU-Sanktionen gegenüber Russland – mit einer Ausnahme. Vorerst sollen in der Schweiz keine Gelder von Privatpersonen eingefroren werden. Bei den Finanzsanktionen gegen Personen geht die Schweiz etwas weniger weit als die EU, verschärft aber ihre heutige Praxis ebenfalls. So soll die Meldepflicht durch eine strengere, noch zu definierende Massnahme ersetzt werden, wie Botschafter Erwin Bollinger bekanntgab.

Quelle: www.ref.ch, 28. Februar 2022, Andreas Bättig