Nationalrätinnen aus den Fraktionen FDP, Mitte-EVP, GLP, SP und Grüne sind der Ansicht, der Schutz von Kindern und Jugendlichen sei bei einigen Organisationen nicht gewährleistet. Das zeigten die jüngsten Beispiele von sexuellem, physischem und psychischem Missbrauch bei der katholischen Kirche, im Leistungssport und in Ballettschulen. In sechs gleichlautenden Motionen fordern sie professionelle Massnahmen bei der Prävention oder beim Meldewesen und Krisenmanagement. Organisationen müssten verpflichtet werden, Verantwortung zu übernehmen und in die Struktur- und Prozessqualität zu investieren. Die von Expertinnen und Experten geforderten national verbindlichen Schutzkonzepte stellten sicher, dass die genannten Institutionen zu sicheren Orten würden. Mit solchen Konzepten werde das Risiko minimiert, dass Kinder und junge Erwachsene Opfer von Übergriffen würden. Der Rat nahm die Motionen mit klarer Mehrheit an.
Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz begrüsst den Entscheid
Der Nationalrat nahm auch ein Postulat seiner Rechtskommission (RK-N) an. Sie fordert vom Bundesrat einen Bericht, in dem aufgezeigt werden soll, inwiefern Organisationen mit einem Auftrag in der Betreuung von verletzlichen Personen wie Jugendlichen intern Fälle von sexuellem Missbrauch aufgearbeitet haben. Das Postulat gilt nach dem Nationalratsentscheid bereits als angenommen. Bei solchen Prüfaufträgen genügt es, wenn ein Rat zustimmt. Die Motionen müssen noch in den Ständerat. Positiv gewertet wird der Entscheid des Nationalrats von der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS). «Wir begrüssen das klare Signal aus dem Nationalrat», sagte der Kommunikationsverantwortliche, Stephan Jütte, auf Anfrage von ref.ch. Die Institutionen müssten sich nun weitere Gedanken machen, was das konkret bedeute.
Bundesrat verweist auf Kantone
Der Bundesrat lehnte die Motionen ab, beantragte aber Annahme des Postulats. Es sei «unabdingbar», dass alle betroffenen Akteurinnen ihre Pflicht zum Schutz von Kindern und Jugendlichen wahrnähmen und effektive Massnahmen zur Missbrauchsprävention und -bekämpfung umsetzten, schrieb er in seiner Stellungnahme. Für das Kirchen- und das Schulwesen seien aber die Kantone zuständig. Auf Bundesebene gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die alle in der Motion genannten Akteure zu entsprechenden Massnahmen verpflichteten, sei nur gestützt auf eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage möglich. Deshalb sage er Nein zu den Motionen, so der Bundesrat. Vereinen könne der Bund Vorgaben zur Missbrauchsprävention machen, wenn er sie gestützt auf das Subventionsrecht unterstütze.
Motionärinnen machen Druck
Bei den Motionärinnen kam diese Antwort des Bundesrats nicht gut an. Tamara Funiciello (SP/BE) sagte, das Parlament könne den von Missbrauch Betroffenen keine bürokratische Antwort geben. Die Zuständigkeit sei diesen Personen egal. Wichtig sei, dass jetzt etwas gehe, und nicht erst nach Vorliegen eines Postulatsberichts. Die Schweiz habe sich mit der Annahme der Uno-Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet, die Rechte und den Schutz von Kindern zu gewährleisten und die nötigen Massnahmen zu ergreifen. Das sagte Motionärin Patricia von Falkenstein (LDP/BS). Schutzkonzepte, an welche sich Verantwortliche etwa in Sportvereinen halten könnten, gebe es schon, sagte Motionärin Priska Widmer-Felder (Mitte/LU). Hintergrund der sechs Motionen und des Postulats bildete laut Angaben von Funiciello und RK-N-Sprecher Beat Flach (GLP/AG) der Bericht von September 2023 zu den Missbrauchsfällen in der römisch-katholischen Kirche. Historikerinnen der Universität Zürich berichten darin von mindestens 1002 Fällen von sexuellem Missbrauch durch Kleriker und Ordensleute in den vergangenen 70 Jahren in der Schweiz.
Quelle: www.ref.ch, 11. September 2024