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Thun: STI kämpft gegen Bibelsprüche im ÖV - Wenn Gott nicht mehr Bus fahren darf

Der Thuner ÖV-Betrieb STI weigert sich, auf seinen Bussen Werbung mit Bibelsprüchen zu machen – und landet deshalb vor Gericht. Der Fall wirft Fragen auf zur Trennung von Religion und Staat.

«Sucht Gott, solange er sich finden lässt.»             «Nur bei Gott komme ich zur Ruhe.»

Bibelsprüche wie diese sind seit Jahren an Plakatwänden überall in der Schweiz zu sehen. Immer Gelb auf Blau – und immer an prominenter Lage. Seit einiger Zeit sind sie auch im Verkehr zu sehen. Von Zürich über Bern und Basel bis nach Lugano: In über 30 Schweizer Städten kleben die Sprüche an Bussen des öffentlichen Verkehrs. «Gottes Wort rollt», nennt die Auftraggeberin, die christliche Agentur C, die Aktion. Nicht allerdings im Berner Oberland, wo Gottes Wort nicht so richtig ins Rollen kam, wie aus einem am Donnerstag, 17. Oktober, veröffentlichten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hervorgeht. Das Busunternehmen STI aus der Region Thun weigerte sich, ihre Busse für Bibelsprüche zur Verfügung zu stellen. Ihre Begründung: «Keine religiöse Werbung erwünscht.» Es folgte aber auch keine schriftliche Verfügung, die von der Werbekundin angefochten werden kann. Dagegen legte diese Beschwerde ein.

Kanton und Bundesamt für Verkehr fühlten sich nicht zuständig

Es folgte ein Rechtsstreit, bei dem sich zuerst niemand so richtig für das heikle Thema zuständig fühlte.  Nicht der Kanton Bern, obwohl in der Schweiz die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat Sache der Kantone ist. Und nicht das Bundesamt für Verkehr, das den öffentlichen Verkehr beaufsichtigt. Am Schluss entschied das Bundesverwaltungsgericht  und trat nicht auf die Beschwerde der Agentur ein – weil sie nicht fristgerecht eingereicht wurde. Die beiden wichtigsten Fragen bleiben damit weiterhin ungeklärt. Erstens: Kann ein teilweise staatliches Unternehmen dazu gezwungen werden, religiöse Werbung zu verbreiten? Zweitens: Muss zur Schau gestellte Religiosität in der Öffentlichkeit hingenommen werden? In den letzten Jahrzehnten hat sich die Religionslandschaft in der Schweiz stark verändert. Während 1970 praktisch alle Menschen den beiden christlichen Konfessionen angehörten, sind heute weitere Religionen unter der Bevölkerung stark verbreitet. Ein Drittel bekennt sich zudem laut den jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik zu gar keinem Glauben mehr.

Gottes Vermarkterin sät Zwietracht

Der Busbetrieb STI will sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äussern. Die Agentur C dagegen gibt sich trotz des Urteils gelassen. Präsident Peter Stucki betont: Nicht in der Sache sei gegen sie entschieden worden, sondern aufgrund eines Formfehlers. «Ich bin überzeugt, dass das Ablehnen unserer Werbung gegen die Verfassung verstösst.» Die Agentur C prüfe nun, ob sie das Urteil ans Bundesgericht weiterziehe. Dass die Bibelsprüche in der Öffentlichkeit Kontroversen auslösen, ist Stucki es gewohnt. Seit Heinrich Rohrer, der Gründer der Reinigungsmittelfirma Sipuro, vor fast 40 Jahren die Agentur für Christus gegründet hat, ist diese regelmässig in solche verwickelt. Als die Agentur etwa 2006 vor dem Berner Inselspital einen Bibelvers zu den Gottlosen aufstellt, die von Plagen heimgesucht werden, wird ihr vorgeworfen, damit bei Patienten Schuldgefühle wecken zu wollen. Als 2015 im Emmental ein Plakat auftaucht, das einen Zusammenhang zwischen Glauben und der Heilung von Magersucht suggeriert, wird die Agentur dafür von Personen mit Essstörungen heftig kritisiert.

Morddrohungen nach Kritik an religiöser Werbung

Die bislang hässlichste Debatte um die Bibelverse fand 2018 statt – und ausgerechnet in einer Stadt, die im Ruf steht, eine der tolerantesten und diversesten der Schweiz zu sein: in Biel. Es begann damit, dass ein Lokalpolitiker ein Verbot von religiöser Werbung auf den Bieler Bussen forderte. Daraufhin erlebte er einen heftigen Shitstorm in den sozialen Medien. Später erhielt er anonyme Briefe mit Morddrohungen, an einer Bushaltestelle sei ihm vor die Füsse gespuckt worden, erzählte er gegenüber dem «Bieler Tagblatt». Weiter angefacht wurde der Aufruhr durch einen Post des Egerkinger Komitees. Mit den Worten «Erkennt die Signale! So beginnt die Unterwanderung!» stellten die geistigen Väter des 2009 angenommenen Minarettverbots den dunkelhäutigen Bieler Stadtrat in die Islamisten-Ecke. Die Agentur verurteilte damals die Hasskommentare gegen den Kritiker ihrer Bibelkampagne. Weitere Konsequenzen hatte die Episode nicht – sie führte auch nicht zu rückläufigen Einnahmen. «Noch nie mussten wir in meiner 20-jährigen Amtszeit zum Spenden aufrufen», sagt Präsident Stucki. Zum Jubiläum im nächsten Jahr sei geplant, 8000 Plakate aufzuhängen. Dass ihn nebst dem Busbetrieb aus Thun weitere Unternehmen daran hindern könnten, glaubt Stucki nicht. Er ist sich sicher: «Religiös-weltanschauliche Werbung wie die Bibelsprüche stehen unter dem Schutz der Grundrechte.» Das gelte auch für den ÖV.

Auch «Allahu akbar» wäre erlaubt

Rechtsexperten pflichten dem pensionierten Versicherungsvertreter grundsätzlich bei. Bereits in seinem Gutachten zum Fall Biel kam Andreas Stöckli, Staatsrechtsprofessor an der Universität Freiburg, 2018 zum Schluss: Ein generelles Verbot religiöser Werbung auf städtischen Bussen wäre ein Eingriff in die Grundrechte und daher verfassungswidrig. Im Einzelfall seien die Besitzverhältnisse entscheidend, so der Expertentenor. Besonders bei Unternehmen mit Staatsbeteiligung sei die Meinungsäusserungsfreiheit höher zu gewichten als die Wirtschaftsfreiheit. Was heisst das für das Religionsverbot in den Bussen im Berner Oberland? Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel, formuliert es so: «Ein staatsnahes ÖV-Unternehmen, das über eine Konzession zur Personenbeförderung verfügt, kann nicht nach eigenem Gutdünken entscheiden, welche Werbeinhalte es schalten will und welche nicht.» Das schliesse religiöse Inhalte mit ein – und zwar solche sämtlicher Religionen. Demnach müssten ÖV-Betriebe konsequenterweise etwa auch Werbung von Atheisten oder Verse aus dem Koran zulassen.

Gott steht in Biel auf dem Index

Einschränkend gilt, dass die Botschaften den konfessionellen Frieden in der Schweiz nicht stören oder keinen missionarischen Charakter haben dürfen. Ein solcher sei aber in der Arbeit der Agentur C durchaus zu erkennen, findet David Atwood, Professor für Religion und Öffentlichkeit an der Universität Zürich. Die Auswahl der Bibelsprüche etwa weise auf eine tendenziell evangelikale Richtung hin. «Dahinter steckt eine Theologie mit universellem und eindeutigem Anspruch.» Nicht zuletzt dank dieses exklusiven Absolutheitsanspruchs glaubt die Stadt Biel, den Königsweg für den Umgang mit den gelb-blauen Bibelsprüchen im ÖV gefunden zu haben. Die Verkehrsbetriebe hätten der Agentur C mitgeteilt, dass anstelle eines generellen Verbots jeder Spruch einzeln geprüft werde, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Allgemeine Aussagen zu Nächstenliebe würden akzeptiert. «Begriffe wie ‹Gott›, die dazu aufrufen, an ihn glauben zu müssen, dagegen nicht.» Danach sei der Kontakt mit der Absenderin der Bibelverse abgebrochen.

Quelle: www.thunertagblatt.ch, 17.10.2024, Benjamin Bitoun