Die Debatte im Berner Kantonsparlament sollte sich eigentlich nur um die Kirchensteuern drehen, welche Unternehmen im Kanton Bern bezahlen müssen. Rund 40 Millionen Franken sind das pro Jahr. Sie machen rund 20 Prozent der Steuereinnahmen der römisch-katholischen, der christ-katholischen und der reformierten Kirchen aus. Die mehrstündige Diskussion wurde aber auch zu einer Standortbestimmung für die Kirche und ihre Arbeit. Fazit: ihre Leistungen für die gesamte Gesellschaft, ihr soziales und kulturelles Engagement, wurde von niemandem angezweifelt. Wie diese Leistungen aber künftig finanziert werden sollen, inwiefern auch der Staat gewisse dieser Aufgaben übernehmen müsste und ob auch andere Religionsgemeinschaften oder gemeinnützige Organisationen staatliche Unterstützung verdient hätten – darüber gingen die Meinungen im Grossen Rat auseinander.
Klarer Auftrag an die Regierung
Solche Fragen muss nun die Kantonsregierung vertieft abklären und dem Parlament einen Bericht abliefern. Mit 93 zu 52 Stimmen (10 Enthaltungen) sagte der Grosse Rat Ja zu einem entsprechenden Postulat und Prüfauftrag. Dieser Vorstoss ist ein Kompromiss, denn ursprünglich wollten der freisinnige Thuner Grossrat Carlos Reinhard und seine überparteilichen Mitstreiter weiter gehen: Sie verlangten, dass die Kirchensteuern für juristische Personen freiwillig werden sollten. Carlos Reinhard selber setzte sich aber dafür ein, den Vorstoss in der unverbindlicheren Form zu überweisen. «Ich anerkenne die Leistungen der Kirchen und will sie keinesfalls bekämpfen», betonte er. Ihm gehe es vor allem um Gleichbehandlung. Gleichbehandlung von natürlichen Personen, die aus der Kirche austreten könnten und keine Steuern mehr bezahlen müssten, und Unternehmen. Letztere hätten diese Wahl nicht. Gleichbehandlung aber auch von Landeskirchen, anderen Religionsgemeinschaften oder auch gemeinnützigen Organisationen. «Nicht nur die Landeskirchen tun Gutes. Aber ausschliesslich sie kommen in den Genuss der Steuereinnahmen.»
Verschiedene Grossrätinnen und Grossräte sahen in der angestossenen Debatte auch eine Chance für die Landeskirchen. «Die Kirche muss sich besser vermarkten, wenn der Wettbewerb grösser wird», sagte Michael Elsässer (FDP). Auch die Grüne Nora Soder fand: «Die Kirche muss an ihrer Attraktivität arbeiten.» Sie gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass der Vorstoss aus Wirtschaftskreisen auch politisch motiviert sei. «Die kritische Haltung, welche Kirchen bei Abstimmungsvorlagen wie der Konzernverantwortungsinitiative vertreten haben, passt gewissen Unternehmen nicht.» Dabei hätten sich die Kirchen lediglich für eine Wirtschaft eingesetzt, welche die Menschen nicht ausnütze, sondern ihnen diene. Gerade das lokale Gewerbe profitiere auch von der Kirche und ihren Aktivitäten in einer Gemeinde, sagten weitere Ratsmitglieder. Die zuständige Regierungsrätin Evi Allemann nahm den Auftrag des Parlaments gerne an. Es sei an der Zeit, diese Auslegeordnung zu machen. «Die Gesellschaft hat sich gewandelt und ist religiös und weltanschaulich vielfältiger geworden.» Die Regierung werde nun die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft sorgfältig prüfen und Vorschläge für eine verfassungskonforme Umsetzung machen.
Auch andere Religionen berücksichtigen?
Eine wichtige Frage werde auch sein, ob und wie andere Religionsgemeinschaften in die Verteilung der Mittel eingebunden werden könnten. Die Kirchensteuern für Unternehmen freiwillig zu machen, könne heikel sein, sagte Allemann. Das Beispiel des Kantons Neuenburg zeige, dass so ein grosser Teil der Mittel plötzlich wegbrechen könne. Möglich wäre aber vielleicht ein Modell, bei dem Unternehmen wählen könnten, an wen oder welches Projekt sie die Steuer bezahlen möchten. Eine solche «Sozial- oder Kultursteuer» kennen andere Länder bereits. Im Herbst wird es zu einer weiteren Grundsatzdebatte über die Kirche kommen: Dann wird der Grosse Rat über die Kantonsbeiträge an die Landeskirchen für die nächsten sechs Jahre befinden.
Quelle: reformiert.info, 06. März 2024, Mirjam Messerli