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Solidarität im Berner Oberland: Die Coronakrise schweisst zusammen

Vordergründig steht das Leben fast still, doch im Hintergrund wächst das Angebot an Hilfsplattformen für all jene, die nun besser zu Hause bleiben.

Es ist Mittag, normalerweise Rushhour am Bahnhof Thun. Nicht an diesem Dienstag. Wo normalerweise vor allem Schüler Schlange stehen für Burger oder Sandwichs, prangen an diesem Tag nur Hinweiszettel: Geschlossen. Restaurants, Läden: alles zu. Sogar an Feiertagen ist am Bahnhof mehr los als jetzt. Auch im Coop Pronto, das als praktisch einziges Geschäft im Bahnhof offen bleibt, ist der Andrang mehr als überschaubar. Nicht einmal über Mittag tummelt sich mehr als eine Handvoll Leute aufs Mal im Laden. Was die neuesten Massnahmen des Bundesrates konkret bedeuten, das wird am Tag danach erstmals ersichtlich.

Die Solidarität ist gross

Während sich das Leben draussen auf Zeitlupe verlangsamt, tut sich dafür hinter den Hausmauern umso mehr. In zahlreichen Orten schliessen sich Menschen zusammen, um anderen zu helfen. Die Organisation erfolgt digital – geholfen wird analog. In Chats oder Facebook-Gruppen wie «Thuner Solidarität», «gärngschee – härzaktiv Steffisburg hilft» oder «Corona: Unterstützung auf dem Bödeli» tauschen sich bereits mehrere Hundert Hilfesuchende und -bietende aus. Einkäufe tätigen, Kinder hüten oder Hunde spazieren führen sind die häufigsten Hilfestellungen. Und das Angebot wächst stetig: Mittlerweile verfügen fast alle grösseren Gemeinden im Oberland über entsprechende Plattformen, weitere dürften in den kommenden Tagen folgen. All das zeigt: Die Solidarität ist auch im Oberland gross.

Hilfe vom Zahnarzt

Ein besonders erfreuliches Erlebnis schildert das Ehepaar Arnd und Eva-Maria Eschenbacher aus Spiez, beide sind über 80. «Am Montagabend erhielten wir einen Anruf von der Zahnarztpraxis, bei der wir uns behandeln lassen», sagt Arnd Eschenbacher. «Erst dachte ich, es gehe um einen Termin, doch die freundliche Frau fragte uns stattdessen, ob sie uns helfen könne.» Das Team der Zahnarztpraxis Spiez AG hatte kurzerhand beschlossen, ihrer älteren Kundschaft anzubieten, beispielsweise Einkäufe zu erledigen, damit die bekanntlich besonders gefährdeten Senioren nicht unter die Leute müssen. «Wie alle Praxen dürfen wir momentan nur dringende Behandlungen vornehmen», erklärt Geschäftsführerin Stéphanie Wymann. Daher gebe es für die Mitarbeitenden sehr wenig zu tun. «Statt dass wir freimachen, wollen wir jenen helfen, die Hilfe benötigen», erklärt sie. Bislang habe nur ein älteres Paar vom Angebot Gebrauch gemacht, das sich prompt mit einem erfreuten Leserbrief bei dieser Zeitung meldete. «Wir haben uns so sehr gefreut, dass meiner Frau die Tränen kamen», schreibt Ernst Leuenberger. Das Praxisteam stehe auch weiterhin für Hilfestellungen zur Verfügung, sagt Stéphanie Wymann: «Leute aus Spiez dürfen sich gerne melden, wenn sie Hilfe brauchen.»

Das Generationentandem ist online

In einer Zwickmühle befindet sich derweil «und» das Generationentandem. Der Verein verfolgt das Ziel, die Generationen zu verbinden, was zumindest physisch momentan nicht angebracht ist. So hat der Verein bereits vor einer Weile entschieden, alle Veranstaltungen abzusagen. «Umso wichtiger wird der soziale Austausch über Telefon, Whatsapp und ganz klassisch per Post», sagt Elias Rüegsegger vom Generationentandem. Der Verein hat auf seiner Website eine Art Ticker eingerichtet, in dem sich Jung und Alt ihre Erfahrungen in der aktuellen Situation schildern.

Stadt setzt auf die Gesellschaft

Auch für die Stadt Thun stellt die Solidarität einen wichtigen Pfeiler in der aktuellen Notsituation dar. Bereits im Zuge der ersten verschärften Massnahmen – die Schulschliessungen – eröffnete sie am vergangenen Freitag die Facebook-Gruppe «Solidarität in Thun – wir unterstützen einander in der Corona-Krise». Mittlerweile sind über 400 Mitglieder beigetreten. Die Stadt verfolgt damit zwei Ziele: «Einerseits können wir die Menschen sensibilisieren und daran erinnern, wie wichtig die Einhaltung der Massnahmen zum Schutze aller ist», sagt Peter Jost, Leiter Stadtmarketing und Kommunikation, auf Anfrage. «Andererseits appellieren wir daran, dass wir in Thun als Gesellschaft zusammenstehen wollen und dort einander generationenübergreifend und im Alltag unterstützen, wo Bedarf entsteht.» In erster Linie gehe es darum, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, gefährdete Personen zu schützen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. «Denn», sagt Peter Jost, «wir sitzen alle im selben Boot.»

Koordinationsstelle im Aufbau

Das Stadtmarketing-Team hat zugleich auch Kontakt mit der Innenstadt-Genossenschaft aufgenommen. «Zusammen machen wir in der Facebook-Gruppe auch auf Lieferdienste von Thuner Geschäften aufmerksam, um zum Beispiel gerade älteren Personen und anderen Menschen aus der Risikogruppe den Gang in die Läden zu ersparen – und zugleich die Geschäfte zu unterstützen», erläutert Peter Jost. Parallel dazu arbeite die städtische Altersbeauftragte Corinne Caspar daran, eine Koordinationsstelle für hilfesuchende Seniorinnen und Senioren einzurichten. «Sodass Hilfesuchende per Telefon und unkompliziert Unterstützung anfordern können – sei dies nun eine Information in Bezug auf das Verhalten oder die Vermittlung für ein konkretes Bedürfnis.»

Die Website www.hilf-jetzt.ch bietet einen Überblick über die verschiedenen Hilfsangebote in der ganzen Schweiz.

Quelle: www.thunertagblatt.ch, 18.03.2020