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Trauerbegleitung: Kinder wollen Ehrlichkeit

Kathrin Häberli aus Spiez begleitet Kinder und Jugendliche, die einen Elternteil oder ein Geschwister verloren haben, durch die schwere Zeit der Trauer.

Kathrin Häberli aus Spiez ist Mutter von vier erwachsenen Kindern und Familien-Trauerbegleiterin. Sie begleitet Menschen durch die schwierige Zeit vor, während und nach dem Tod eines nahen Menschen. Dies kann ein Elternteil sein oder ein Geschwister. «Gerade dieser Verlust gehört für junge Menschen zu den tiefgreifendsten und prägendsten Erfahrungen», sagt die ausgebildete Pflegefachfrau HF, Fachlehrerin und ausgebildete Trauerbegleiterin. Aber auch der Tod der Grosseltern, von Tante und Onkel, Nachbarn, Kameraden sei eine schwere Erfahrung. Kinder erlebten den Tod oft als tiefe Verunsicherung. «Sie brauchen Unterstützung und Bewältigungsstrategien, da sie noch keine Erfahrung mit dem Thema haben. Sie hätten eine grosse Fähigkeit, trauern zu können. «Sie sind aber darauf angewiesen, Fragen stellen zu dürfen, und vor allem, ehrliche Antworten darauf zu erhalten. Kinder wollen Ehrlichkeit und haben ein Recht darauf.»

Schwerstarbeit für Körper und Seele

Häberli empfängt ihren Besuch in einem explizit für die Trauerbegelitung hergerichteten Raum in Spiez. Oder besucht trauernde Familien bei ihnen daheim. Den Schwerpunkt legt die Trauerbegleiterin auf Familien. Zudem führt sie fortlaufend, gemeinsam mit zwei Kolleginnen, einmal im Monat eine Kinder- und Jugend-Trauergruppe im Berufsbildungszentrum in Spiez durch. Diese dauert drei Stunden, jeweils samstags. Dort erfahren Kinder, die einen Elternteil oder ein Geschwister verloren haben, dass sie mit ihrem Verlust nicht alleine sind, und treffen andere, die dasselbe erlebt haben. «In diesem geschützten Rahmen werden verschiedenste Themen aufgegriffen.» Kreatives Gestalten, Musik, etwas kochen und essen gehören dazu. «Fragen werden, soweit dies möglich ist, beantwortet.» Zudem würden praktische Tipps gegeben, wie man zum Beispiel Weihnachten oder Geburtstage ohne den geliebten Menschen begehen kann. «In der Trauergruppe hat es auch Platz für Fröhlichkeit. Ziel ist es, junge Menschen auf ihrem Trauerweg zu begleiten, um sie zu stärken. Auch indem sie sehen, dass sie der Trauer Ausdruck geben dürfen. Trauern ist Schwerstarbeit für Leib und Seele.»

Warum aber entschied sich die Pflegefachfrau für die Trauerbegleitung? «Bereits in meiner Jugend habe ich selbst solche Erfahrungen machen müssen. Ich bin dem Tod früh begegnet.» Er begleite sie seither durch das Leben. Bevor man andere durch schwere und schwierige Zeiten begleiten könne, müsse man die eigenen Geschichte aufgearbeitet haben. «Es ist wichtig, Anteil zu nehmen, mitzufühlen, aber nicht mitzuleiden.» Die Trauer fühle sich bei allen anders an. Als Mutter und Lehrkraft für angehende Fachleute Gesundheit ist Häberli den Jugendlichen auch im Alltag nah. Bevor sie Trauerbegleiterin wurde, leitete sie 15 Jahre lang die «Beratungsstelle Alzheimer Bern». Zudem begleitete sie als Pflegefachfrau Sterbende in den Tod, lange bevor es Palliativstationen in den Spitälern gab. »Menschein im Sterben und durch die Trauer zu begleiten, ist eine erfüllende und kostbare Aufgabe.» Sie habe sich durch die Ausbildung zur Trauerbegleiterin für Familien einen Herzenswunsch erfüllt. Neben einer umfassenden Abschlussarbeit, mit der Fachpersonen nun arbeiten, verfasste sie die Broschüre «Leichte Sprache» für Menschen mit geistiger Beeeinträchtigung. Darin erklärt sie das Sterben, bis hin zum Aufgeben des Bewusstsein, dem Liegen im Sarg und dem Weg auf den Friedhof. Häberli hat auch darin Erfahrung: Ihr Bruder lebt mit dem Downsyndrom.

Kaleidoskop der Gefühle

Um Kindern den langen Trauerprozess bildlich darzustellen, reicht ihnen Häberli, je nach Alter, auch mal ein Kaleidoskop. «Je nach Bewegung ändert das Muster.» Kinder sollten wissen, dass sie, auch wenn sie trauern, nicht immer nur traurig sein müssen. «Es ist wichtig, auch lachen zu dürfen. Das Leben geht weiter.» Die Emotionen Trauernder können sich von einem Augenblick zum nächsten verändern. «Es hilft, wenn Betroffene dies wissen und annehmen können.» Häberli nennt dies auch «Trauerpfützenspringen.». Während der mehrere Einheiten umfassenden Trauerbegleitung arbeitet sie mit Büchern, Bildern, Ritualen, Erklären, Kreieren oder Symbolen. So gibt es zum Beispiel ein Herz aus Holz, das auf der einen Seite rot und auf der anderen blau bemalt ist und in der Mitte einen Bruch hat. «Die Narbe bleibt ein Leben lang.» Die Trauer zu unterdrücken, könne verheerend sein. Bricht nur das rote Herz auseinander (die Narbe besteht aus einem Magnet) und dreht es um, so ergibt dies auf der anderen Seite zwei blaue...

Die Endgültigkeit des Todes begreifen

Wichtig sei, Kindern und Jugendlichen zu erklären, was mit dem sterbenden oder verstorbenen Elternteil oder Geschwister gerade passiere. Und dass alle Kinder, also auch nicht trauernde, die Möglichkeit bekämen, das Trauern früh zu lernen. Indem sie zum Beispiel ein Haustier durchs Leben begleiten oder die Möglichkeit erhielten, eine tote Schnecke oder einen Käfer zu betrauern. «Auch kleine Verluste sind Verluste. Wir lernen so den Umgang mit dem Tod und den Trauergefühlen.» Kinder trauern je nach Lebens- und Entwicklungsalter unterschiedlich. Kinder bis zwei Jahre könnten den Tod noch nicht begreifen. «Sie spüren jedoch das Fehlen der Bezugsperson.» Kinder bis sechs Jahre könnten die Endgültigkeit des Todes nicht verstehen. «Der Tod ist für sie ein vorübergehender Zustand, sie denken oft magisch.» Kinder von sechs bis zehn Jahren seien sachlich interessiert an Themen wie Sterben, Beerdigung. «Sie begreifen langsam, dass jedes Lebewesen sterben muss.» Kinder bis 14 Jahre begriffen den Tod als endgültigen und unausweichlichen Verlust. «Ängste können auftreten.» Jugendliche hätten ein Todesverständnis wie Erwachsene, zeigten Interesse am Tod, entwickelten eigene Theorien zum Leben nach dem Tod. «Oft fehlen ihnen Vorbilder, wie mit einem Verlust umgegangen werden kann.» So zögen sich einige in sich zurück, andere reagierten aggressiv. Viele wollten nicht mit Erwachsenen über ihr Trauern reden, lieber tauschten sie sich mit Gleichaltrigen aus. Deshalb sei es wichtig, mit ihnen in Verbindung zu bleiben, verlässlich und ehrlich zu sein. «Auf einem gemeinsamen Spaziergang muss nicht gesprochen werden.» Es gelte: Alle Menschen haben das Recht auf sachliche Information. Der Tod soll beim Namen genannt werden.

Die Art des Todes des nahen Menschen beeinflusse das Empfinden der Hinterbliebenen. «Bei einem Suizid können Schuldgefühle stark belasten.» Kinder fühlten sich für den Tod des geliebten Menschen mitverantwortlich. Bei einem Unfall ohne Abschiedsmöglichkeit seien es der Schock und das Ungesagte. «Der Tod ist für Kinder ein riesiger Einschnitt.» Trauer drücke sich durch unterschiedliche Symbole aus. Auch körperlich. «Oft fehlt die Energie.» Die Gesellschaft lasse Trauernden wenig Zeit für den langen, vielleicht ein Leben lang dauernden Trauerprozess. Kinder und Jugendliche bräuchten verlässliche Erwachsene, die sich ihren Fragen stellten und hülfen, Antworten zu suchen. «Wir alle müssen die Endgültigkeit des Todes begreifen lernen.»

Quelle: Berner Landbote, 2. Dezember 2020, Sonja L. Bauer